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149 - Auf Messers Schneide

149 - Auf Messers Schneide

Titel: 149 - Auf Messers Schneide
Autoren: Bernd Frenz
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ihr. Innerlich verfluchte er seine eigene Dummheit. Er hätte wissen müssen, dass ihre Implantate durch den EMP beeinträchtigt, wenn nicht gar zerstört worden waren.
    Besorgt fragte er sich, ob sie ohne ihre künstlichen Bestandteile überhaupt lebensfähig war. Eine kalte innere Stimme fragte zurück, ob er den Zustand, in dem sie sich jetzt befand, als lebenswert bezeichnen würde.
    Matt drängte den Gedanken zurück. Es gab andere Probleme, die er zuerst klären musste.
    »Naoki«, sagte er eindringlich, als er hinter ihr in den Gang trat. Die Außenhaut der Station knirschte so laut, dass er schreien musste. Die Kräfte, die auf die Materialien einwirkten, waren gewaltig. »Wir müssen hier weg, verstehst du das?«
    Sie ignorierte ihn und ging weiter geradeaus. Dieser Weg führte in die Quartiere der Besatzung. Matt schloss zu ihr auf, eine Hand zur Faust geballt. Er hatte keine Zeit, auf Naokis Wahnvorstellungen einzugehen. Ihm blieb keine andere Möglichkeit, als sie außer Gefecht zu setzen und durch die Station zu tragen. Im Shuttle würden sie zumindest fürs Erste in Sicherheit sein. Über das weitere Vorgehen konnte man dann entscheiden.
    Matt war jetzt direkt hinter ihr. Trotz ihrer fehlenden Augenimplantate bewegte sich Naoki mit traumwandlerischer Sicherheit durch den dunklen Gang und kletterte eine Leiter zur Frachtebene hinab. Vielleicht nahm sie ihre Umgebung mit anderen Sinnen wahr.
    Metall kreischte plötzlich über Matt. Instinktiv warf er sich zurück und sah aus den Augenwinkeln, wie ein Segment des Lüftungsschachts vor ihm in den Boden einschlug. Eine Leitung, die direkt darunter verlief, platzte auf. Gas entwich zischend. Matt fluchte, als er erkannte, dass der Weg zu Naoki versperrt war.
    Nicht allzu weit entfernt explodierte etwas mit lautem Knall.
    Die Bodenplatten sprangen unter Matts Füßen einmal kurz hoch. Einer der Sauerstofftanks musste sich entzündet haben.
    Matt wich zurück, als er Rauch vor sich aufsteigen sah. Die Sauerstoffreiche, von Pilzsporen verseuchte Luft fachte die Flammen an.
    Hier komme ich nicht weiter, dachte er und erschrak, als er die Erde durch eines der Fenster sah. Sie füllte das gesamte Sichtfeld aus, so nah war die Station ihr bereits gekommen.
    Matt wandte sich ab und lief zurück in die Kommandozentrale. Es gab über die Rettungsschächte noch einen zweiten Weg nach unten. Er öffnete die Luke und kletterte die Metallleiter hinab. Eine zweite und dritte Explosion erschütterten die ISS. Die Lichter erloschen.
    »Verdammt!« Matt hielt auf einer Stufe inne und schaltete seine Helmlampe ein.
    Der weiße Lichtkegel erhellte die Wand vor und den Boden unter ihm. Die letzten Meter legte er mit einem Sprung zurück.
    Dann drehte er sich um und leuchtete in den Gang hinein.
    Ein Schatten huschte durch den Lichtkegel in einen Raum.
    »Naoki!«
    Matt lief hinter ihr her. Eine Tür wurde laut krachend zugeschlagen. Er blieb davor stehen und hämmerte mit der Faust gegen das Plastik.
    »Naoki, hör mir zu! Wir müssen hier raus, bevor die ganze Station auseinander bricht!«
    Hinter ihm platzte eine Wand knirschend auf. Matt hämmerte ein letztes Mal gegen die Tür, dann warf er sich mit der Schulter dagegen. Schon bei seinem zweiten Anlauf sprang das Schloss heraus. Die Tür schwang auf.
    Matt bremste seinen Schwung. Er stieß die Luft aus, als er in den Raum blickte. Ein Sauerstofftank musste hier explodiert sein und hatte die Wand weggesprengt. Das Loch war fast zwei Meter hoch und ebenso breit. Dahinter gähnte schwarzer Weltraum.
    Am Rande des Lochs stand Naoki. Ihr Oberkörper schwankte langsam hin und her, ihre Sohlen hafteten am Metall des Bodens. Ihr linker Arm hing steif an ihrer Seite, den rechten hatte sie auf den Gürtel gelegt. Ihr Zeigefinger kroch auf einen Knopf zu.
    »Nein!« Matt erkannte sofort, was sie vorhatte. Sie wollte die Magnetstiefel ausschalten, um sich ins All zu stürzen. Ohne nachzudenken entmagnetisierte er seine eigenen Stiefel und stieß sich vom Boden ab. Er streckte sich, um nicht ins Trudeln zu geraten.
    Vor ihm löste sich Naoki zeitlupenartig vom Boden.
    Beinahe sanft schwebte sie dem All und dem Tod entgegen.
    Matt biss die Zähne zusammen. Er flog deutlich schneller als sie, vielleicht sogar zu schnell. Wenn er die Magnetstiefel nicht rechtzeitig wieder einschaltete, war er ebenso verloren wie Naoki.
    Sein Oberkörper war bereits jenseits des Lochs, als er endlich die Hand um ihren Oberarm schloss. Sie wehrte sich nicht.
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