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120, rue de la Gare

120, rue de la Gare

Titel: 120, rue de la Gare
Autoren: Léo Malet
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nicht mit allen nötigen Kräften zu wehren. Spielte er ein doppeltes Spiel?“
    „Ich verbitte mir Ihre Unterstellungen“, rief Marc, der knallrot geworden war. „Sie sind nur ein verdammter...“
    „Schnauze! Es sind Damen unter uns. Spekulieren wir lieber noch etwas weiter. Ist Monsieur Covet Linkshänder? Liebe Freundin, schreibt der brillante Journalist mit links?“
    „Nein“, hauchte das Filmsternchen von morgen errötend. Niemand war nach Lachen zumute. Es herrschte betretenes Schweigen. Plötzlich ließ das Schrillen der Türklingel die Weihnachtsgesellschaft erschreckt hochfahren.
    „Öffnen Sie“, forderte ich Reboul auf. „Aber nutzen Sie die Situation nicht aus, um zu fliehen!“
    Er kam mit Kommissar Bernier zurück. Die Wanduhr schlug elf.
    „Auf die Minute pünktlich“, stellte ich fest, während Reboul ihm Mantel und Hut abnahm. „Mein lieber Herr Kommissar, sind Sie immer noch davon überzeugt, daß Colomers Mörder und der Mann, der mich in die Rhône schmeißen wollte, ein und dieselbe Person war: der ertrunkene Jalome alias Carhaix?“
    „Aber... aber natürlich“, stammelte Bernier verwirrt. „Was hat das zu bedeuten? Sie machen vielleicht Gesichter...! Ist das hier ‘ne Totenwache?“
    „So was Ähnliches.“
    „Ich bin eigentlich hergekommen, um mich zu amüsieren.“
    „Das werden Sie auch! Ich jedenfalls amüsier mich zu Tode. Wir spielen gerade eine Variante des ,Wahrheitsspiels’. Ich werde Ihnen den Mörder präsentieren. Er erfreut sich bester Gesundheit, ganz das Gegenteil von einem Geist! Sie können ihm gleich die Hand geben, egal welche. Er ist mit beiden gleich geschickt... Ich habe Ihnen doch von einem Kratzer an dem Korbstuhl erzählt“, wandteichmich wieder an alle. „Das war ein äußerst wichtiges Indiz. Als Monsieur X Jos Wange verfehlte, hat er das Geflecht getroffen und einen Brillanten verloren... Ich hatte ihn zuerst für einen Glassplitter gehalten... Maître Montbrison, wären Sie so freundlich, den geschmacklosen Siegelring an Ihrem linken Ringfinger zu zeigen? Ich möchte die Brillanten vergleichen.“
    „Aber gerne.“
    Der Angesprochene kam langsam auf mich zu, sein bezauberndes Don-Juan-Lächeln auf den Lippen.
    Die Frauen kreischten auf, die Männer fluchten. Handgemenge, zwei Schüsse. Er schoß aus der linken Jackentasche. Ich verspürte einen brennenden Schmerz im rechten Arm. Eine Kugel war von der Kanone abgeprallt, die ich in Erwartung eines ähnlichen Intermezzos unter meiner Achselhöhle trug.
    Die zweite Kugel durchbohrte ein Bild von Magritte.

10

Der Komplize

    Nachdem sich der Tumult gelegt hatte, eilte Hélène zu mir, um sich meine Wunde anzusehen. Ihren sorgenvollen Augen sah ich an, daß sie mir wegen der falschen Verdächtigungen nicht mehr böse war. Ein prima Kerl, dieses Mädchen.
    „Hab ich Ihnen nicht gesagt, daß wir Sie brauchen würden?“ rief ich Dorcières zu. „Aber so richtig gefallen hat’s Ihnen nicht, was?“
    „Tja... eigentlich... Zeigen Sie mir Ihren Arm“, forderte er mich schroff auf. „Nicht weiter schlimm“, urteilte er.
    Zwischen Faroux, der inzwischen aus seinem Versteck hervorgekommen war, und Kommissar Bernier stand Maître Julien Montbrison. Das glänzende Metall der Handschellen funkelte mit den protzigen Ringen an seinen Fingern um die Wette. „Thomas“ war verschwunden.
    Trotz der Schmerzen im Oberarm hatte ich den kleinen Stein nicht fallenlassen. Er paßte haargenau zu den anderen Brillanten des Siegelrings. Dieselbe Größe, dieselbe Reinheit. Und er war so geschliffen, daß er in die Fassung paßte. Jeder Zweifel war ausgeschlossen.
    „Sie hätten nicht schießen sollen“, sagte ich leise zu ihm.
    „Ein dummer Reflex“, stimmte er mir gutgelaunt zu. „Es hat mich eben geärgert, daß ich mit Ihnen nicht umspringen konnte, wie ich wollte. Hätte mir denken können, daß Sie Ihre Maßnahmen getroffen hatten. Haben Sie mich von Anfang an verdächtigt?“
    „Das würde gut zu den Spielregeln passen, hm? Nein! Ernsthaft ist mir der Verdacht erst nach Jalomes mißlungenem Überfall gekommen. Als wir um halb vier nachts in dessen Wohnung waren, Lafalaise, Covet und ich... Werd’s Ihnen erklären, Kommissar“, sagte ich zu Bernier, der große Augen machte. „Ich hatte ‘ne ganze Weile nicht geraucht. Mein Tabaksbeutel war leer — gelobt sei der vorübergehende Engpaß! — , und da ich keine Zigaretten mag, hab ich auch keine bei meinen Freunden geschnorrt. Ich trat als erster
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