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120, rue de la Gare

120, rue de la Gare

Titel: 120, rue de la Gare
Autoren: Léo Malet
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verschiedenen Faltsysteme aufgefallen, dazu der schwache Wachsfleck. Außerdem fällt sein neugieriger Blick auf den Poststempel. Das Postamt befindet sich ganz in der Nähe der Adresse, von der Hélène Parry hin und wieder Geld bekommt: die Adresse des Mittelmannes ihres Vaters! Eine Unvorsichtigkeit von Monsieur X mit unübersehbaren Folgen. Colomer schreibt den verschlüsselten Text ab und versucht, seinen Sinn zu ergründen. Als das Mädchen nach Lyon zurückkehrt, hat er’s geschafft. Er beschließt, sofort mit ihr nach Paris zu fahren. Aber sein Mörder hat ihn in Verdacht, einen Verdacht zu haben, und beschließt, ihn aus dem Weg zu räumen. Doch Bob meidet gerade die dunklen und verlassenen Wege, so daß es ihn erst auf dem Bahnhof Perrache erwischt. Vielleicht zögert der Mörder auch noch, wägt das Für und Wider ab. Aber als er Bob auf mich zustürzen sieht, zögert er nicht mehr. Mein Auftauchen macht ihn kopflos, wenn ich das in aller Bescheidenheit sagen darf. Er fürchtet, daß Bob mir von seinen Enthüllungen berichtet. Kurzentschlossen drückt er ab.
    Später dann erfährt er von seinem Komplizen Carhaix alias Jalome, daß ich die Doppelgängerin von Michèle Hogan suche. In seiner Panik überschätzt er das Ausmaß meines Interesses und plant daraufhin den Überfall auf dem Pont de la Boucle. Es geht schief. Er rennt in die Wohnung seines Komplizen, um alle Spuren zu verwischen, die ihn in Zusammenhang mit der schwimmenden Leiche bringen könnten. Da er weiß, daß eine der Lieblingstheorien der Polizei der Mord aus Rache ist, versteckt er die Tatwaffe von Perrache in der Küche. Wenn sie in der Wohnung eines ehemaligen Komplizen von Villebrun und Jo Tour Eiffel gefunden wird, steht Colomers Mörder für die Flics fest. So denkt er, und so geschieht es auch. Diese Sache scheint also erledigt. Unser Mann muß jetzt nur noch die Ernte einfahren. Ich nehme an, er hat gehört, wie Bob mir die geheimnisvolle Adresse zugerufen hat. Gestern kommt unser Monsieur X in Paris an, geht schnurstracks zu dem Haus in der Rue de la Gare, stellt es auf den Kopf und... findet nichts! In der Nacht versucht er es ein zweites Mal. Inzwischen ist ihm nämlich eine Idee gekommen. Bis jetzt hat er nach einem komplizierten Versteck gesucht. Aber dann sind ihm Edgar Allen Poe und die Außergewöhnlichen Geschichten eingefallen, vor allem die Geschichte Der gestohlene Brief... Das sicherste Versteck ist das einfachste, sichtbarste... Er geht also wieder in das Haus, um diese Theorie auf die Probe zu stellen. Zusammen mit einem Komplizen übrigens, der bestimmt schon an dem Drama von La Ferté-Combettes beteiligt war und seinem Chef so sehr vertraut, daß er ihm nicht von der Seite weicht. Die beiden finden den Schatz. Da schießt der Komplize auf Monsieur X, trifft aber nicht ihn, sondern jemanden, der hinter einem Vorhang steht. X schießt zurück und trifft besser. Seit Perrache wissen wir, daß er ein ausgesprochen guter Schütze ist. Der Getroffene flieht mit letzter Kraft in die Nacht hinaus. Es ist stockdunkel. Er kann seinem Verfolger entkommen, bricht aber bald darauf mitten auf der Straße zusammen. Der Schnee ist halb geschmolzen und dreckig. Der Angeschossene auf der Straße ist schlecht zu erkennen und wird von einem Auto, das ohne Licht fährt, überrollt.“
    Ich holte Luft. Meine Zuhörer hingen gespannt an meinen Lippen.
    „Nun“, sagte ich und sah mich in der Runde um, „dieser Monsieur X befindet sich hier im Raum!“
    Die Behauptung rief unter meinen Gästen das hervor, was in der Sprache unserer Parlamentarier „allgemeine Bewegung“ genannt wird.
    „Ja, der mehrfache Mörder ist hier im Raum“, wiederholte ich. „Wer von uns ist es? Wir haben eine ungefähre Vorstellung von ihm. Er kennt Colomer, er kennt die Erbin, und er kennt Ihren Gastgeber: mich. Nach verschiedenen Beobachtungen, die ich im Landhaus bei Château-du-Loir machen konnte, gebraucht er gerne seine linke Hand. Zum Beispiel wurde der Gefesselte vor dem Kamin mehrmals auf die rechte Wange geschlagen. Einmal gelingt es ihm, dem Schlag auszuweichen. Die Faust des Folterers zerkratzt den Korbstuhl. Wer aber pflegt im allgemeinen mit links zuzuschlagen? Genau! Die Linkshänder... aber auch die, die ihren rechten Arm verloren haben!“ Alle Blicke richteten sich auf Louis Reboul. Mein Mitarbeiter lächelte verlegen.
    „Und was den Überfall auf dem Pont de la Boucle betrifft“, fuhr ich fort, „so schien sich mir Monsieur Covet
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