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120, rue de la Gare

120, rue de la Gare

Titel: 120, rue de la Gare
Autoren: Léo Malet
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die Geliebte ausgespannt. Was aus der Frau geworden ist? Wir wissen es nicht. Dorcières jedenfalls war geladen, konnte sich aber nicht rächen. Jo anzeigen, hieße, sich selbst anzeigen, seine Stellung verlieren, seine Reputation... Aber das Schicksal geht seltsame Wege, wie ich schon vor ein paar Minuten bemerkte. Es führt den Gangster in das Lazarett, in dem Dorcières Dienst tut. Jo ist seiner Rache vollkommen ausgeliefert, ohne Gedächtnis, nur eine Nummer: 60 202. Eine unverhoffte Chance für Dorcières’ Rache. Aber, aufgepaßt! In dem Lager befindet sich ein Mann, mit dem man rechnen muß...“
    „Mein genialer, scharfsinniger Chef...“
    „Zumindest Haut und Knochen von ihm. Was weiß Nestor Burma über den Mann ohne Gedächtnis? Die beste Möglichkeit, das rauszukriegen, ist ein Gespräch mit ihm. Darum spricht Dorcières mich in dem Lager an. Er hatte mich schon früher bei den ,Untersuchungen“ wiedererkannt, ohne unsere Bekanntschaft Wiederaufleben zu lassen. Aber unser spontanes“ Gespräch bringt ihm keine endgültige Klarheit. Als ich ihn dann noch bitte, mir einen Posten im Lazarett zu verschaffen, bricht er das Gespräch ab. Natürlich verschafft er mir den Posten nicht. Aber mir gelingt es trotzdem, ins Lazarett zu kommen. Solange ich dort bin, unternimmt er nichts. Aber als ich für nur einen Tag fort bin, begeht er...“
    „...sein Verbrechen“, ergänzte Hélène.
    „Ich zögere, das Wort zu gebrauchen. Schließlich hat Jo Tour Eiffel kein besseres Ende verdient. Außerdem hatte er sein Gedächtnis verloren... und ein Mann ohne Gedächtnis ist ein Mann ohne Zukunft. Man kann also sagen, daß Dorcières ihm einen zweiten — letzten — Dienst erwiesen hat.“
    „Sie haben eine zauberhafte Art, die Dinge zu sehen.“
    „Ja, vielleicht bin ich zynischer als der Doktor. Er wurde nämlich von Gewissensbissen geplagt. Vergaß sozusagen Essen und Trinken darüber, war zu jeder Dummheit fähig. Und dann begeht er auch tatsächlich eine: Er empfängt Faroux und mich mit dem Revolver in der Hand. Als sein Hausdiener ihm Nestor Burma und einen Polizeiinspektor meldet, glaubt er, wir seien gekommen, um ihn zu verhaften.“
    „Und jetzt hat er also versucht, sein... Verbrechen dadurch wiedergutzumachen, daß er die Tochter des Opfers erfolgreich operiert?“
    „Genau. Wäre ihm das nicht gelungen, hätte er sich, glaub ich, umgebracht. Jetzt ist er ein neuer Mensch... Entschuldigen Sie...“
    Ich ging in einen Blumenladen. Als ich wieder herauskam, fragte Hélène:
    „Ist das für Mademoiselle Parry?“
    „Ja.“
    Hélène nahm meinen Arm und sah mit ihren grauen Augen, in denen ein boshaftes Flämmchen tanzte, tief in meine.
    „Nestor Burma“, sagte sie freundschaftlich vorwurfsvoll, „sollten Sie...“
    „Ach was“, knurrte ich und machte mich los. „Und schließlich... ein Privatflic und die Tochter eines Gangsters...“
    „Sie würden ein hübsches Paar abgeben, ganz bestimmt. Die Ableger möchte ich sehen!“

    Paris-Châtillon, 1942

Anmerkungen des Übersetzers:

    Vorwort
    Stalag : „Stammlager“, im 2. Weltkrieg Kriegsgefangenenlager in Deutschland.

    1. Teil
    1. Kapitel
    Tempête (frz.): Sturm, Orkan.

    2. Teil
    1. Kapitel
    Tour Pointue : Polizeidienststelle im Palais de Justice am Quai de l’Horloge.
    Santé : Zentralgefängnis in Paris.
    2. Kapitel
    Quai des Orfèvres : Sitz der Kriminalpolizei in Paris.
    5. Kapitel
    Sarthe : Fluß und Departement in Frankreich.
    P.L.M. (Paris-Lyon-Méditerranée): Eisenbahnlinie in den Süden Frankreichs.
    Die Heizer von Orgères : Verbrecherbande im 18. Jahrhundert, die ihren Opfern die Füße anbrannte, um sie zum Sprechen zu bringen.
    S.A.D.E. (Société anonyme de distribution des eaux): Wasserwerk in Paris.

    6. Kapitel
    Morgue : Leichenschauhaus und gerichtsmedizinisches Institut in Paris (jetzt Institut Médico-Légal).



Editorische Notiz

    Als im Herbst 1943 (noch im besetzten Paris!) Malets Kriminalroman 120, RUE DE LA GARE erschien, war das eine Sensation. Frankreich brachte dieser Roman einen neuen Typ Krimihelden, die deutsche Besetzung wurde relativ offen thematisiert. Ein Krimi, der in einem deutschen Gefangenenlager für französische Kriegsgefangene beginnt, mutet zudem auch heute noch ungewöhnlich an. So wurde denn dieses Buch schnell zu einem Erfolg — 1946 wurde der Stoff zum ersten Mal verfilmt — es sollten noch zwei Verfilmungen folgen und eine Comic-Version, die seit kurzem auch in deutsch vorliegt: die sehr
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