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120, rue de la Gare

120, rue de la Gare

Titel: 120, rue de la Gare
Autoren: Léo Malet
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in die Wohnung. Sofort stieg mir der Zigarettenduft von hellem Tabak in die Nase. Außerdem bemerkte ich im Aschenbecher abgebrannte Streichhölzer. Stammten sie noch von Jalome, ebenso wie der Tabakgeruch? Doch der war zu stark, um schon ein paar Stunden alt zu sein. Und wenn Jalome rauchte, dann keinen hellen Tabak (Später wurde in seiner Tasche eine Schachtel Gauloise gefunden). Außerdem ließ der große Vorrat an Feuerzeugbenzin darauf schließen, daß er keine Streichhölzer benutzte. Also mußte jemand anders sich in der Wohnung aufgehalten haben. Aber wer? Auf jeden Fall jemand, der hellen Tabak rauchte. Und zwar so leidenschaftlich, daß er sich auch unter diesen Umständen nicht davon abhalten ließ. Wo hatte ich schon einen ähnlichen Geruch geschnuppert? Bei Ihnen, Montbrison, und nur bei Ihnen! Mir kamen wieder Einzelheiten in den Sinn, denen ich zuerst nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Weniger die Tatsache, daß sie sich mit mehr als vierundzwanzigstündiger Verspätung bei der Polizei gemeldet hatten (so lange brauchten Sie, um sich darüber klarzuwerden, ob es günstig war, Colomer zu kennen, nicht wahr?). Es war vielmehr die Art und Weise, wie Sie den armen Bob beschrieben haben. Auf dem Bahnsteig war er mir nicht kopflos vorgekommen. Und Sie erzählten mir, er sei heftig erregt gewesen, in Panik, in Furcht vor irgendeiner Rache... was weiß ich? Von der Anspielung auf Rauschgift ganz zu schweigen. Als sähe man einem Süchtigen das nicht schon von weitem an! Dafür braucht man kein Medizinstudium. Dadurch wurden Sie mir höchst verdächtig. Aber noch mal zurück zu Ihrer Sucht, Montbrison. Ich kannte Sie als Freund von Likör und Schnaps. Doch dann haben Sie sich von den Ereignissen überraschen lassen: Sie standen ohne einen Tropfen Alkohol da! Dagegen hatten Sie Philipp Morris gehortet, Ihre Lieblingsmarke. Und die wurde Ihnen zum Verhängnis. Ich rieche den hellen Tabak in Jalomes Wohnung. Am nächsten Morgen besuche ich Sie in aller Herrgottsfrühe, um Sie um Ihren Rat zu bitten. In Wirklichkeit wollte ich mich noch einmal davon überzeugen, daß mich mein Geruchssinn nicht im Stich gelassen hatte. Und richtig: Die Zigarette, die Sie rauchten, verbreitete den Duft, der mir so langsam vertraut wurde. Wie gesagt, ich hatte einige Stunden keine Pfeife mehr geraucht. Vernachlässigen wir die Tatsache, daß in Ihrem Aschenbecher jede Menge Streichhölzer lagen — die gleichen, die ich schon in Jalomes Wohnung gesehen hatte: flach, farbig. Aber das sind nur zweitrangige Beweisstücke. Und noch etwas ist mir an dem frühen Morgen aufgefallen: Sie hatten keine geruhsame Nacht hinter sich, Montbrison! Ich gehe wohl recht in der Annahme, daß Sie nicht geschlafen hatten... weil sie nämlich nicht wußten, welche Wendung Ihr Spielchen nehmen würde. Darüber konnte auch Ihr Morgenmantel nicht hinwegtäuschen. Ihre Hände mit dem kompletten Satz Juwelen sprachen Bände. Kalt und unsauber waren sie, wie nach einer schlaflosen Nacht. Durchwachte Nächte verderben die Hände, wenn Sie mir erlauben, etwas Poesie in meine trockenen Ausführungen einzuflechten. Ihnen muß wohl die Angst in die Knochen gefahren sein, als Sie mich so früh bei sich aufkreuzen sahen. Wie erleichtert waren Sie, als ich nur einen Rat von Ihnen wollte! Begreifen Sie die Ironie des Schicksals? Genau in dem Augenblick, in dem Sie sich befreit fühlten, nahm mein Verdacht konkrete Formen an. Natürlich langten die Beweise noch nicht, um ein Gericht zu überzeugen, aber das wollte ich ja auch noch nicht. Mir ging es erst mal darum, eine Spur aufzunehmen. Und Sie müssen zugeben, daß mich Ihr Benehmen in meinem Verdacht immer mehr bestärkte. Zum Beispiel Ihre Gastfreundschaft, die Sie mir unbedingt anbieten wollten, als wir einigermaßen besoffen aus dem Bistro schwankten. Sie erinnern sich? Als ich ablehnte, bestanden Sie darauf, mich zum Hospital zu begleiten. Und es war eine kalte Nacht, die nicht gerade zu einem Bummel einlud, auch keinen Besoffenen. Sie mußten wohl besondere Gründe für Ihre Anhänglichkeit haben. Wenn Marc Covet nicht mitgegangen wär, meinen Sie, ich würde hier stehen und Ihnen die Sherlock-Holmes-Vorstellung geben?“
    Der Anwalt lachte zynisch auf und erwiderte:
    „Unter uns gesagt, Burma: Ihre Streichholz-Zigaretten-Asche-Theorie ist einen Scheißdreck wert!“
    „Normalerweise vielleicht, Maître. Aber wir leben in anormalen Zeiten! Philip Morris liegen nicht auf der Straße, davon hab
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