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120, rue de la Gare

120, rue de la Gare

Titel: 120, rue de la Gare
Autoren: Léo Malet
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sogar mit in dessen Wohnung, damit ich die Entdeckung der Waffe miterlebe. Gleichzeitig will er mich davon überzeugen, daß Lafalaise was mit dem Überfall auf dem Pont de la Boucle zu tun hat. Später dann redet er dem Streifenpolizisten ein, daß er sich in der Uhrzeit oder im Fenster geirrt habe, als er Licht in Jalomes Wohnung zu sehen meinte... Da ich mich wie immer bescheiden zurückhielt, war sich Bernier nicht darüber klar, wieviel ich wußte. Montbrison übrigens auch nicht. Deshalb nahmen die beiden meine Einladung an, ohne an was Böses zu denken. Es war ja auch nichts Besonderes dabei. Schließlich ist Weihnachten... Sie ahnten nicht, welche Überraschung ein ehemaliger, schwacher Kriegsgefangener für sie bereithielt. Und zu allem Unglück rutschte unser Maître auch noch auf der Perle aus! Woher stammte die wohl? Das Fläschchen in Faroux’ Tasche war fest zugeschraubt. Warum war es eigentlich nicht voll? Sollte noch jemand anders im Raum sein, der einen Teil der Beute mit sich herumschleppte? Ein weiterer Komplize, dem aus Versehen eine der Perlen aus der Manteltasche gerutscht war? Reboul hat dem Kommissar den Mantel abgenommen, über seinen Arm gelegt und zur Garderobe gebracht. Dabei ist die Perle aus dem schlecht verschlossenen Röhrchen in Berniers Manteltasche rausgefallen und über den
    Teppich auf die Tür zugerollt. Außer Cov t, der zwar nicht über jeden Verdacht, aber doch über diesen speziellen erhaben ist und den ich nur zum Schein in die Enge getrieben habe, außer Marc Covet also war nur noch Bernier aus Lyon nach Paris gekommen. Der Kommissar hat nichts Besonderes hier in Paris zu suchen. Keine Verwandten, keine Freunde, und die Kollegen vom Quai d’Orfèvres wollen nichts mit ihm zu tun haben.
    Bernier hatte es ganz eilig, Montbrison zu durchsuchen... und von dem Fläschchen abzulenken. Jetzt verstehe ich auch das hämische Grinsen des Maître, als er sich von uns verabschiedete. Der Fall Perrache kommt in Lyon vor Gericht. Montbrison konnte mit Bernier rechnen: Mit einem Kommissar als Freund bricht es sich leichter aus einem Gefängnis aus. All das, was ich Ihnen jetzt erklärt habe, schoß mir in wenigen Sekunden durch den Kopf. Ohne weiter zu überlegen, riskierte ich ihn samt Kragen
    „Aber glücklicherweise wurde die andere Hälfte der Perlen in der Manteltasche des Kommissars gefunden“, ergänzte Hélène, meine Sekretärin.

11

Der erste Mord

    Am nächsten Morgen gingen Hélène und ich in Dorcières’ Privatklinik, um uns von dem verbesserten Gesundheitszustand der anderen Hélène zu überzeugen. Es war ein schöner, klarer Tag. Der Schnee glitzerte im Sonnenschein. Ich mußte an Bob denken. Er war so gerne in den Wintersport gefahren.
    „Ein lieber Junge war er, unser Colomer“, sagte ich. „Tödlich getroffen, denkt er nur daran, mich in das Geheimnis um Georges Parry einzuweihen. ,120, Rue de la Gare“, ruft er mir zu und hofft, daß ich möglichst viel damit anfangen kann.“
    „Ja“, seufzte Hélène. „Die Agentur Fiat Lux ist um vieles ärmer geworden.“
    In der Klinik stürzte uns Hubert Dorcières entgegen. Er war in den letzten Nacht um zehn Jahre jünger geworden.
    „Wir haben sie gerettet!“ rief er. „Gerettet! Sie lebt! Ich freue mich so sehr!“
    Er drückte uns herzlich die Hand, so als wären wir für den Erfolg des chirurgischen Eingriffs verantwortlich. Dann führte er uns ins Krankenzimmer.
    „Guten Morgen“, begrüßte ich die Gerettete. „Dann sind wir also völlig außer Gefahr? Das freut mich sehr! Vor allem, weil ich noch ein paar Fragen habe...“
    „Schon wieder!“ sagte sie mit leiser, wohlklingender Stimme und seufzte ergreifend.
    „Oh, kaum der Rede wert“, beruhigte ich sie. „Ich würde nur gerne wissen...“
    Zusammengefaßt lautete ihre Sicht der Dinge folgendermaßen:
    Als Montbrison auf Bob geschossen hatte, hatte sie ebenfalls ihre Waffe in die Hand genommen. Ein Reflex, der wohl in der Familie lag. Dazu kamen noch das Verlangen, Colomer zu rächen, und die Furcht, selbst die nächste Zielscheibe des Anwalts zu werden. Ihre Reaktion war jedoch ziemlich lächerlich: An der Pistole in ihrer Hand war schon so lange die Sicherung nicht mehr zurückgeschoben worden, daß sie wohl kaum noch zu bewegen war. Danach hatte das Mädchen Glück: die Polizei hatte den Bahnhof noch nicht vollständig abgeriegelt, und sie konnte ohne weiteres verschwinden. Bei sich zu Hause fand sie dann den Brief mit dem Testament ihres
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