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04 - Winnetou IV

04 - Winnetou IV

Titel: 04 - Winnetou IV
Autoren: Karl May
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„An den Projekten, die ich euch jetzt andeutete, können eure Söhne sich noch ganz anders künstlerisch betätigen als an der unglückseligen Figur, an welcher ihr alle eure Kräfte umsonst verschwendet habt! Jetzt gibt es keine Zeit mehr, wir sprechen weiter hierüber!“
    Sie waren entzückt über das, was sie gehört hatten, und ich durfte überzeugt sein, sie hiermit ganz für unsere höhere und richtigere Anschauung gewonnen zu haben.
    Gegen Morgen, grad als ich mit dem ‚Jungen Adler‘ sprach, kam ein Bote der Apatschenhäuptlinge, die wir nach dem ‚Tal der Höhle‘ geschickt hatten, und meldete uns, daß sie dort glücklich angekommen seien und einen Teil der Hüter der Pferde überrumpelt hätten; den anderen Teil werde man nach Tagesanbruch überwältigen. Das war ziemlich ungenügend. In den früheren kriegerischen Zeiten hätte sich wohl niemand zur Überbringung einer so halben Nachricht bereit gefunden. Ich hielt es zwar nicht für nötig, den Boten durch einen Tadel zu kränken, aber der ‚Junge Adler‘ sah es mir doch an, daß ich nicht befriedigt war. Er fragte, als wir wieder allein waren:
    „Ich möchte gern bessere Nachricht bringen. Darf ich?“
    „Ich danke“, wehrte ich ab. „Für solche Botenritte sind andere da, die man sonst nicht brauchen kann.“
    „Botenritt? – Ich will nicht reiten!“
    „Was sonst?“
    „Fliegen!“
    „Ah! Wirklich?“ fragte ich überrascht.
    „Ja. Ich brauche nur eine halbe Stunde, um dort zu sein.“
    „Das wäre freilich höchst vorteilhaft; aber die Gefahr – die Gefahr!“
    „Es gibt keine!“ lächelte er.
    „Und wenn! Es ist mir doch zu waghaft , es zu erlauben!“
    „So will ich nur fragen: Ist es mir verboten?“
    „Verboten? Nein. Du bist dein eigener Herr!“
    „Ich danke dir! Und noch eines, da es sich um den fliegenden Adler handelt: Du versprachst mir im ‚Haus des Todes‘, mir die vier Medizinen zu geben, sobald ich dich um sie ersuche. Darf ich dich hieran erinnern?“
    „Ja. Willst du sie haben?“
    „Brauchst du sie noch?“
    „Nein. Für mich haben sie ihre Arbeit getan.“
    „Für mich noch nicht. Ich soll der Mann sein, der die Medizinen, die du uns genommen hast, wiederbringt.“
    „Du sollst sie haben!“
    „Gleich jetzt?“
    „Gleich jetzt! Komm mit mir nach meiner Wohnung auf dem Schloß!“
    Wir gingen hinauf, sogleich, obwohl es noch dunkel war. Dort nahm ich die Medizinen aus dem Verschluß und gab sie ihm. Er hing sie sich um den Hals.
    „Ich danke dir!“ sagte er. „Ich kann sie den Häuptlingen geben, wenn ich will?“
    „Ganz nach deinem Belieben!“
    „Sie ihnen einstweilen bloß zeigen?“
    „Auch das! Diese deine Frage sagt mir, daß du meine Absichten kennst und nichts tun wirst, was nicht mit ihnen zu vereinigen ist. Ich bin beruhigt.“
    „So habe ich noch einen Wunsch. Du sollst von mir sehen, wie leicht und wie sicher und ungefährlich das Fliegen ist, wenn man den richtigen Apparat besitzt. Bitte, begleite mich nach meinem Turm!“
    Ich war einverstanden. Wir gingen hinauf. Oben angekommen, blieb ich am Fuß des Turmes zurück. Ich setzte mich auf eine Bank; er aber stieg nach der Plattform hinauf. Im Osten begann es leise zu dämmern. Nun noch einige Minuten, so ging der lichte Streifen auch nach dem Süden über. Die unter uns liegende Landschaft wurde sichtbar und schaute erwachend zu mir herauf. Da hörte ich über mir ein leises Surren.
    „Jetzt! Ich komme!“ erklang die Stimme meines jungen Freundes von oben.
    Ich schaute auf. Der Vogel erschien. Er tat wie einen Sprung. Von der Plattform des Turmes in das Luftmeer hinaus. Er schlug einige Male die Flügel. Dann begann er, zu gleiten, zu schweben, abwärts und aufwärts, nach rechts und nach links, ganz wie der ‚Junge Adler‘ es wollte. Dieser saß zwischen den beiden Körpern auf bequemem Sitz und lenkte seinen Flieger wie ein sicher gehendes, äußerst gehorsames Pferd. Er glitt einige Male in Bogen- oder Schlingenform vor mir hin und her. Dann rief er mir zu:
    „Jetzt geht es in die Ferne hinaus, nach Süden, nach dem ‚Tal der Höhle‘. – Lebe wohl!“
    Er wendete sich in die von ihm angegebene Richtung, stieg mehrere hundert Fuß höher und entfernte sich so schnell, daß er schon nach kurzer Zeit meinem Auge als kleiner Punkt entschwand. Das versetzte mich in eine ganz eigenartige Stimmung. Ich fühlte mich als Mensch so stolz, und doch auch wieder so klein, so außerordentlich klein! Es lag in mir wie ein Sieg
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