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04 - Winnetou IV

04 - Winnetou IV

Titel: 04 - Winnetou IV
Autoren: Karl May
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sondern wir stiegen nach dem Schloß hinauf, um in der Bibliothek den so glücklich gewonnenen ‚Schlüssel‘ mit anderen vorhandenen Karten zu vergleichen und die Passierbarkeit des Weges zu studieren. Inzwischen war das Herzle mit dem Ingenieur und seinen photographischen Apparaten beschäftigt, bis sie gegen Abend kam und mir mitteilte, daß nun alles in Ordnung sei.
    „Wer oder was in Ordnung?“ fragte ich.
    „Unser Winnetou“, antwortete sie, „nicht der versunkene, der steinerne. Er wird so schön, wie du es dir kaum denken kannst, auf dem Spiegel des Schleierfalles erscheinen, zu beiden Seiten von ihm die charakteristischen Porträts von Marah Durimeh und Tatellah-Satah. Aber ich werde diese Bilder erst dann erscheinen lassen, wenn wir über das Schicksal der Verschütteten beruhigt sein können. Unser herrlicher Winnetou soll nicht Angst und Sorge, sondern Erlösung und Glück bedeuten. Ist dir das recht?“
    „Alles, was du in dieser deiner Lieblingsatmosphäre tust, ist mir recht. Laß uns Abendbrot essen und dann hinuntergehen! Ich muß in die Höhle, nachschauen, warum noch kein Erfolg vorhanden ist.“
    Dann später in der Höhle angekommen, sah ich, daß mit außerordentlichem Eifer gearbeitet worden war; aber es gab eine so große Menge von Gestein und Erde zu bewegen, daß noch immer nicht ersehen werden konnte, wann es ein Ende nehmen werde. Es vergingen noch mehrere Stunden. Die Pferde der Verschütteten waren inzwischen angekommen. Man nahm das ohne große Aufregung hin. Die allgemeine Aufmerksamkeit war einzig und allein auf die Rettungsarbeiten gerichtet. Und endlich kam die Kunde, daß man den Gesuchten so nahe gekommen sei, daß man ihr fernes Klopfen hören könne. Es war anzunehmen, daß wenigstens noch eine Stunde vergehen werde, bis man die Klopfenden erreiche, und so rief ich sämtliche befreundete Häuptlinge zusammen, um unter dem Vorsitz Tatellah-Satahs über das Schicksal unserer Gefangenen zu beraten. Diese Beratung fand auf unserer Kanzel statt, denn sie sollte von denen, über deren Schicksal wir bestimmten, gehört werden. Ich gab die Weisung, möglichst streng zu verfahren, und so kam es, daß die Sitzung einen sehr ernsten Verlauf nahm. Das Urteil lautete: Simon Bell und Edward Sommer werden aus dem Komitee entlassen. William Evening und Antonius Paper werden fortgejagt. Kiktahan Schonka, Tusahga Saritsch, Tangua und To-kei-chun kommen an den Marterpfahl, bis sie tot sind, ihre Medizinen aber werden verbrannt. Ihre Unterhäuptlinge werden erschossen. Ihren viertausend Kriegern werden die Waffen, die Haarschöpfe und die Medizinen genommen; dann können sie laufen, wohin sie wollen!
    Das hatte einen harten Klang, war aber nur gut gemeint. Wir wußten ja alle, daß keiner von uns die Ausführung dieses Urteils wirklich wünschte. Alle die Genannten hatten sich da drüben auf ihrer Kanzel, obwohl sie jedes Wort unsere Beratung deutlich hörten, vollständig still verhalten. Wir hatten keinen einzigen Laut von Ihnen vernommen. Nun aber das Urteil verkündet war, gab es bei ihnen eine nicht mehr zu unterdrückende Aufregung und einen Lärm, der uns der beste Beweis dafür war, wie ernst sie uns und unsere Aussprüche nahmen. Nur allein Tangua beteiligte sich nicht an diesem Lärm. Er ließ auch jetzt nichts weiter als sein klagendes: „Pida, mein Sohn!“ hören. Er mußte diesen Sohn außerordentlich lieb haben. Er war der achtbarste unter allen, die wir soeben verurteilt hatten; ja, er begann sogar mir sympathisch zu werden. Übrigens taten wir so, als ob wir den Lärm da drüben gar nicht hörten.
    Und nun kam aus der Höhle die Botschaft, daß die Verschütteten erreicht worden seien und daß ihr Anführer Pida mit Old Shatterhand zu sprechen wünsche. Ich gab die Weisung, ihn heraus zu mir zu bringen, aber nur ihn allein, denn sie alle seien als unsere Gefangenen zu betrachten. Es dauerte nicht lange, so kam er, ohne Waffen; man hatte sie ihm abgenommen. Ich reichte ihm die Hand und sagte:
    „Pida ist mein Gefangener, aber mein Freund. Er wird uns nicht entfliehen?“
    „Nein!“ antwortete er stolz.
    „Er gehe zu seinem Vater, um sich mit ihm zu besprechen. Dann komme er wieder zu mir! Je schneller er das tut, um so rascher werden seine verunglückten Krieger aus der Höhle befreit!“
    Ich gab ihm einen Führer mit. Er ging. Als er drüben angekommen war, hörten wir jedes Wort, welches nun dort verhandelt wurde. Dann kehrte er zurück. Ich tat so, als ob wir nichts
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