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04 - Winnetou IV

04 - Winnetou IV

Titel: 04 - Winnetou IV
Autoren: Karl May
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des Tales geleitet wurden, wo sie einstweilige Unterkunft und Verpflegung fanden. Das ging so stundenlang. Es hatte ungefähr um Mitternacht begonnen, und es endete erst gegen Morgen, als der Tag zu grauen begann.
    Inzwischen hatte Pida nicht die Hände in den Schoß gelegt. Er war zwischen mir, dem Beauftragten von unserer Seite, und Tangua, dem Sprecher von jener Seite, fast ununterbrochen hin- und hergegangen und hatte sich alle mögliche Mühe gegeben, das über die Häuptlinge ausgesprochene Urteil möglichst zu mildern. Wir sahen das sehr gern, taten aber so, als ob uns an diesen neuen Verhandlungen gar nichts liege. Darum ließ ich zunächst nur in Beziehung auf die gewöhnlichen Krieger unsere Bestimmungen fallen. Sie durften frei sein, vollständig frei, ihre Medizinen und ihre Pferde behalten und sich entfernen, sobald sie wollten. Als sie das hörten, gab es einen großen Jubel unter ihnen. Ihre Lage gestaltete sich, den Verhältnissen angemessen, so vorteilhaft, wie sie es noch vor einigen Stunden gar nicht hatten ahnen können. Sie hatten trotz der Gefährlichkeit der Katastrophe keinen einzigen Toten gehabt. Die Verletzungen, welche meist in Quetschungen bestanden, waren zwar schmerzhaft, aber nicht gefährlich. Sie wurden von den Frauen verbunden, und die Herren Patienten fühlten sich in der ihnen gewidmeten Fürsorge außerordentlich wohl. Sie fanden es ganz angenehm, nun jetzt die Freunde derer zu sein, die sie noch gestern hatten vernichten wollen. Sie sahen die Sterne, welche ihre Wohltäter und Wohltäterinnen trugen. Sie fragten nach dem Sinn, nach der Bedeutung dieser Sterne. Man erklärte sie ihnen. Man zeigte auf die herrliche Gestalt unseres Winnetou. Man sagte ihnen , daß es sich nicht mehr um die Aufstellung eines toten, steinernen Bildes handle, sondern um die Schöpfung eines großen, edlen, lebendigen Winnetoukörpers , eines sich über ganz Amerika und auch darüber hinaus verbreitenden ‚Clan Winnetou‘, der von seinen Gliedern weiter nichts verlangt, als edle Menschen zu sein, die nur Liebe geben, weil nur diese allein den Menschen edel macht. Bald hörte man die belehrende Stimme des ‚Jungen Adlers‘ erschallen. Er war ‚der erste Winnetou‘ und gesellte sich jetzt zu ihnen, um ihnen zu predigen, was ihnen, zumal in ihrer jetzigen Lage, förderlich und heilsam war. An anderen Stellen hörte man die Stimmen anderer ‚Winnetous‘. Sie gingen, um mich eines biblischen Ausdruckes zu bedienen, ‚Menschen fangen‘.
    Als Pida das sah, freute er sich und sagte:
    „Es ist ein wunderbarer Samen, den Old Shatterhand in das Herz seines Bruder Winnetou legte. Dieser Same trug köstliche Früchte. Die Blüten duften weiter und weiter, und die Körner keimen weiter und weiter. Es wird nicht mehr Stunden, sondern nur noch Minuten dauern, so werden alle diese eure Feinde verlangen, in den ‚Clan Winnetou‘ aufgenommen zu werden. Wäre ihnen diese Bitte zu erfüllen?“
    „Gewiß! Sehr gern!“ antwortete ich.
    „Auch mir?“
    „Auch dir!“
    „Auch uns?“
    Er deutete bei diesen Worten nach der gegnerischen Kanzel hinüber. Ich antwortete lächelnd:
    „Mein Bruder Pida ist ein sehr, sehr kluger Vermittler. Wenn ich die Wahrheit sage, daß auch die gefangenen Häuptlinge in den Clan aufgenommen werden können, muß ich sie freigeben und ihnen alles verzeihen!“
    „Wenn du das tust, bist du ein ‚Winnetou‘, sonst aber nicht! – Erlaubst du mir, zu meinem Vater zu gehen?“
    „Geh!“ sagte ich, aber erst nach einer Weile. „Doch kehre bald zurück. Der Morgen ist schon unterwegs.“
    Er ging. Als er bei den Seinen angekommen war, hörten wir hier hüben wieder alles, was er drüben sagte. Er war auch dort ein vortrefflicher Vermittler. Die in der Höhle ausgestandene Angst, der liebevolle Empfang von unserer Seite, der unvergleichliche Eindruck der heutigen Beleuchtung und unserer Winnetoufigur, das alles wirkte zusammen, den jungen Häuptling der Kiowa zu unterstützen, seinen Zweck zu erreichen. Er kehrte zu mir zurück und meldete:
    „Tangua, mein Vater, der Häuptling der Kiowa, würde zu dir kommen, aber er kann nicht gehen. Er möchte dich um Verzeihung bitten, sich mit dir versöhnen!“
    „So bleibe er!“ antwortete ich froh. „Ich gehe zu ihm. Ich bitte dich, mich zu ihm zu bringen!“
    Ehe ich mich mit ihm entfernte, bat ich die Häuptlinge, hier sitzen zu bleiben, zu lauschen und, falls ich von drüben herüber darum bitten sollte, mir zu antworten. Am Fuß
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