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04 - Winnetou IV

04 - Winnetou IV

Titel: 04 - Winnetou IV
Autoren: Karl May
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Stück Papier heraus, welches sichtlich mit einem großen Messer, wahrscheinlich Bowieknife, beschnitten und dann zusammengefaltet worden war. Es enthielt folgende Zeilen in englischer Sprache, die ich natürlich verdeutsche; sie waren von einer schweren, ungeübten Hand mit Bleistift geschrieben:
    „An Old Shatterhand.
    Kommst Du nach dem Mount Winnetou? Ich komme ganz gewiß. Vielleicht sogar auch Avaht-Niah, der Hundertundzwanzigjährige. Siehst Du, daß ich schreiben kann? Und daß ich in der Sprache der Bleichgesichter schreibe?
    Wagare-Tey. Häuptling der Schoschonen.“
    Als wir das gelesen hatten, schaute ich das Herzle überrascht an, und sie mich ebenso. Nicht etwa das frappierte uns, daß wir einen Brief aus dem fernen Westen bekamen, und zwar von einem Indianer. Das geschieht sehr oft. Aber daß dieser Brief von dem Häuptling der Schlangenindianer kam, der mir noch nie geschrieben hatte, das verwunderte mich. Sein Name Wagare-Tey bedeutet soviel wie ‚Gelber Hirsch‘. Ich bitte, über ihn in meinem Band ‚Weihnacht‘ nachzulesen. Damals, also vor nun über dreißig Jahren, war er noch jung und ziemlich unerfahren, aber ein guter, ehrlicher Mensch und ein treuer, zuverlässiger Freund meines Winnetou und mir. Sein Vater Avaht-Niah war über achtzig Jahre alt, ein Ehrenmann durch und durch, und hatte den großen Einfluß, den er besaß, stets nur zu unsern Gunsten in Anwendung gebracht. Wegen dieses seines hohen Alters und weil ich nie wieder von ihm hörte, hatte ich ihn dann für tot gehalten. Nun aber ersah ich aus dem Brief, daß er noch lebte und sich in guter körperlicher und geistiger Verfassung befand. Denn, wäre dieses letztere nicht der Fall gewesen, so hätte der Schreiber desselben unmöglich sagen können, daß der oberste Kriegsanführer der Schoschonen vielleicht auch mit nach dem Mount Winnetou kommen werde.
    Zwar hatte ich nicht die geringste Ahnung davon, wo dieser Berg lag. Ich wußte nur, daß die Apatschen sich mit den ihnen befreundeten anderen Stämmen dahin einigen wollten, irgendeinen nach seiner Lage, seinen Eigenschaften und seiner Wichtigkeit ausgezeichneten Berg nach dem Namen ihres geliebtesten Häuptlings zu nennen. Davon, daß dies geschehen sei, hatte ich nicht gehört, und noch viel weniger war mir mitgeteilt worden, auf welchen Berg die Wahl gefallen war. Doch soviel konnte ich mir denken, daß es nicht einer war, der außerhalb des Bereiches, in dem die Apatschen sich bewegen, liegt. Und weil die Schlangenindianer ihre Lager- und Weideplätze viele Tagesritte davon im Norden haben, so war es gewiß ein ganz außerordentlicher Fall, daß ein Mann, der über hundertundzwanzig Jahre zählte, es sich zutraute, diese Reise machen zu können, ohne von der Not, sondern nur von seinem jung gebliebenen Herz dazu getrieben zu sein.
    Und warum wollte er mit seinem Sohn so weit nach Süden kommen? Das wußte ich nicht. Ich fand auch durch kein noch so scharfes und noch so kompliziertes Nachdenken eine einwandfreie Antwort auf diese Frage. Ich konnte nichts tun, als warten, ob sich auch von anderer Seite dergleichen Zuschriften einstellen würde. Den Brief zu beantworten, war unmöglich, weil ich den jetzigen Aufenthaltsort der beiden Häuptlinge nicht kannte. Auf alle Fälle aber war es kein unwichtiger Grund, der sie veranlaßte, das ihnen so fernliegende Gebiet der Apatschen aufzusuchen. Ich nahm an, daß dieser Grund sich nicht auf enge, rein persönliche Verhältnisse bezog, sondern eine allgemeinere Bedeutung hatte, und da meine Adresse da drüben bekannt ist und ich mit vielen, dort lebenden Personen, von denen ich in meinen Büchern erzählt habe und noch erzählen werde, im Briefwechsel stehe, so durfte ich wohl hoffen, bald weiteres zu erfahren.
    Und wie gedacht, so geschehen! Kaum zwei Wochen später kam ein zweiter Brief, aber von einer Seite, von welcher ich am allerwenigsten ein Lebenszeichen oder gar eine Zuschrift erwartet hätte. Das Kuvert zeigte genau dieselbe Adresse, und der englisch geschriebene Inhalt lautete, in die deutsche Sprache übersetzt, wie folgt:
    „Komm an den Mount Winnetou zum großen, letzten Kampf! Und gib mir endlich Deinen Skalp, den Du mir schon zwei Menschenalter lang schuldig bist! Dieses läßt Dir schreiben.
    To-kei-chun, der Häuptling der Racurroh-Komantschen.“
    Und nur eine Woche später erhielt ich, auch wieder unter derselben Adresse, folgende Zuschrift:
    „Hast Du Mut, so komme herüber nach dem Mount Winnetou! Meine
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