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Zwölfender

Zwölfender

Titel: Zwölfender
Autoren: Britta Schröder
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Handy ein. »Kurz vor zwei«, antwortete ich.
    »Was wollen wir heute machen?«, gähnte er. »Ich hätte Lust, mir die Stadt anzusehen.«
    »Einverstanden. Ich möchte ein Ticket für den Überlandbus kaufen.«
    »Okay«, sagte er und ging ins Bad.
     
    In Rosas Küche roch es nach geschmortem Fleisch. Auf dem Esstisch lag ein Zettel: »Bin gegen 16 Uhr zurück. Nehmt euch, was ihr braucht. Rosa.«
    Eine Weile lang standen wir unschlüssig nebeneinander. Im Kühlschrank fanden wir Butter und Konfitüre, auf der Anrichte Brot, Obst und eine Kanne mit Kaffee.
     
    Wir schlenderten durch Vorstadtstraßen, fuhren Bus, spazierten durch Hochhausschluchten, aßen im Gehen eine Teigtasche und besorgten meine Busfahrkarte für den nächsten Tag.
    Santiago rauschte an mir vorbei.
    Ich nahm kaum mehr wahr als die Gespräche mit Robert, der die Gabe besaß, sich so selbstverständlich durch die fremde Stadt zu bewegen, als sei er hier heimisch.
    Gelegentlich wiesen wir einander auf eine ungewöhnliche Architektur oder auf ein Geschäft mit einer besonderen Auslage hin. Wenn wir länger schwiegen, hob er schmunzelnd die Brauen, schob seine Hände etwas tiefer in die Taschen, und ich tat es ihm gleich.
     
    In seinen Fragen über mich und Aaron fand ich dieselbe unaufgeregte Neugierde wieder, mit der er die uns entgegenkommenden Menschen betrachtete. Wenn ich ihn nach seiner Freundin Fanny befragte, antwortete er mir mit einer Unverstelltheit, die einen feinen dichten Bogen um sie beide spannte.
    Von seiner Arbeit sprechend, änderte er seine Haltung, sodass ich ihn konzentriert wie anfangs im Flugzeug erlebte. Nach und nach fand ich heraus, dass Robert in seinem Fach eine ziemlich anerkannte Nummer war und seine Arbeitsstelle frei wählen konnte. Er verbarg nicht, dass er um seine Fähigkeiten wusste, aber er stellte sie auch nicht zur Schau.
    Er ging damit genauso um wie mit seiner Behinderung.
     
    Gegen neun Uhr abends kehrten wir zu unserer Pension zurück.
    Die Haustür war nur angelehnt.
    Rosa stand telefonierend im Flur. Sie begrüßte uns mit einem Wink und einem Augenrollen, das ihrem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung zu gelten schien. Mit einer ermunternden Geste wies sie uns an, in der Küche Platz zu nehmen, ging dann aber wieder in den Flur zurück.
    Robert und ich setzten uns.
     
    »Was wirst du morgen machen?«, fragte ich ihn.
    »Ich werde noch einen Tag hierbleiben. Ich werde dich zum Bus begleiten und dann meine eigene Reise planen«, sagte er.
    Er stand auf, nahm eine Flasche Wein und einen Korkenzieher von der Anrichte, ging in den Flur, um Rosas Genehmigung einzuholen, und kehrte mit einem Lächeln zurück.
    »Ich glaube, sie spricht mit ihrem Schwager«, sagte er.
     
    »Werden wir uns wiedersehen?«, fragte ich, während er uns einschenkte.
    »Selbstredend. Und lass es mich bitte wissen, wenn du gefunden hast, wonach du suchst. Ich glaube, ich habe es jetzt verstanden.«
    Ich formte meine Dankbarkeit zu einer Kugel und ließ sie über den Tisch rollen. Robert fing sie wortlos ein.
     
    Rosa tauchte auf. Mit ihren Blicken sortierte sie die Anrichte. Dann setzte sie sich zu uns und fragte: »Wie war euer Tag?«
    »Eigenartig«, entgegnete ich.
    »Gut, fremd, vertraut«, setzte Robert nach.
    Wir saßen noch lange zusammen und unterhielten uns. Rosa zeigte uns Fotos von ihrer Familie und lachte mit uns, weil fast alle Männer Javier und fast alle Frauen Olivia hießen.
     
    In dieser Nacht schlief ich unruhig.
    Gegen drei Uhr stand ich auf und stieg die Treppe zur Küche hinunter, um Rosa eine Notiz und einen Umschlag mit Geld zu hinterlegen.
    Als ich mich wieder neben Robert legte, seufzte er. Auf kurze Stille folgte ein ängstlicher Wehlaut.
    Er träumte einen quälenden Traum, also weckte ich ihn.
    »Ist es schon sechs?«, fragte er.
    »Nein, schlaf ruhig weiter.«
    »Ich habe geträumt«, sagte er. »Ich konnte mich gar nicht mehr bewegen.«
    Ich strich ihm über die Stirn, legte eine Hand auf seine Schulter und bemühte mich, so gleichmäßig wie möglich neben ihm zu atmen.
     
    Als der Weckton meines Handys losging, hatte ich das Gefühl, eben erst eingeschlafen zu sein. Am liebsten wäre ich liegengeblieben und hätte den Tag vorbeistreichen lassen, doch Robert mahnte mich zur Eile: »Wir haben nicht viel Zeit. Schwing dich aus den Federn!«
    Ich gehorchte.
     
    Wie absurd das alles war.
    Was zum Teufel hatte ich in Südamerika verloren? Matt wie ich mich fühlte, erschien mir mein
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