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Zwölfender

Zwölfender

Titel: Zwölfender
Autoren: Britta Schröder
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heim und zog mich um. Kurz bevor ich die Wohnung verlassen wollte, überprüfte ich im Stehen meine Mails.
    Der Posteingang enthielt eine Nachricht. Ich sah den Nachnamen des Absenders und glaubte, Robert hätte mir geschrieben. Mit klopfendem Herzen setzte ich mich an den Tisch und las, verstand aber nicht. Ich las noch einmal.
    Die e -Mail stammte nicht von Robert. Sein Bruder hatte sie verfasst.
     
    Als der Inhalt seines Schreibens zu mir durchdrang, fühlte es sich an, wie wenn man im warmen Meer einen Stein umklammert und spürt, dass eine kalte Strömung einen langsam davontreiben wird. Vielleicht ruft man um Hilfe, vielleicht bleibt man stumm vor Entsetzen.
    Egal wie, die Kräfte lassen unweigerlich nach, und die Einsicht, Land zu verlieren, kommt schleichend. Bis sie mit einem Mal Gewissheit ist.
     
    In derselben Nacht, in der ich mit Jott und Aki in Antofagasta um die Häuser gezogen war, hatten auch Robert und Matías – nach einer Veranstaltung im Institut – einige Kneipen durchstreift. Einem Polizeibericht zufolge hatten die beiden ein Lokal verlassen, nachdem sie dort von drei betrunkenen Männern angepöbelt worden waren. Was danach geschehen war, stand im Einzelnen nicht fest, aber am frühen Morgen waren Roberts und Matías’ Leichen in einer Einfahrt aufgefunden worden. Jemand hatte die beiden ausgeraubt und mit einem Kopfschuss getötet.
     
    Roberts Beerdigung sollte am kommenden Samstag in Wiesbaden stattfinden.
     
    Ich trieb auf offener See. Die Inseln, die ich sah, waren palmenlos und ohne Trost.
    Tagelang dachte ich nur einen einzigen Satz: Jemand hat Robert in den Kopf geschossen. Jemand hat Robert in den Kopf geschossen.
    Jemand hat Robert in den Kopf geschossen.
     
    Aaron bat mich, in seine Wohnung einzuziehen. Ich lehnte ab.
    Ich hörte seine Stimme, als läge ich unter Wasser.
     
    Roberts Beerdigung.
    Ein Menschenmeer, das hohe Wellen schlug und ratlos verebbte. Mittendrin erkannte ich Roberts Freundin Fanny, ihr Anblick war bestürzend.
    Den Kreis der engsten Angehörigen umschritt ich weiträumig, aber ich elendete vor mich hin.
     
    Der Pfarrer behauptete, wir seien nun reicher um das, was wir verloren hätten.
    Gern wäre ich aufgestanden und hätte ihn aufgefordert, die Wahrheit zu sagen: Nie wart ihr, nie waren wir ärmer und erbärmlicher als jetzt!
    Ich tat es nicht.
     
    In den Tagen nach der Beisetzung trank und trank und trank ich mich in die Nähe von Nichts, bis die Adern an meinen Armen schmerzhaft anschwollen.
    Etwas darin wurde stillgelegt.
    Es krepierte und verdarb.
     
    Was bleibt, ist eine unbestimmte Furcht.
    Was bleibt, ist eine sickernde Mulde, in der alles, was gut ist, den Atem verliert.
    Was bleibt, ist die Unfähigkeit, frohen Mutes zu sein.
     
    Natürlich, natürlich: Die Hoffnung verlässt einen nie.
    Hoffnung ist gedächtnislos.
    Darin ähnelt sie dem Zufall.

21
    Ich ging nicht mehr aus dem Haus. Aaron sah jeden Tag nach mir und zwang mich, etwas zu essen.
     
    Ich war nicht mehr intakt.
    Mein Körper blieb starr, und die Gedanken überschlugen sich. Ein jeder landete vornüber im Sand.
     
    Wenn ich nicht an Robert dachte, dachte ich an Merce.
    Einmal versuchte ich, ihn in seiner Bar zu erreichen, doch die Geräuschkulisse war zu laut.
    »Ich möchte mit Merce sprechen«, rief ich in den Hörer. »Merce!«, wiederholte ich.
    Der Wirt verstand nicht und legte auf.
     
    Etwas in mir rollte sich zusammen und machte sich schwer.
    Ein Sinken und Trudeln. Dann ein Aufsetzen mit Gelenken so weich, dass sie mich nicht mehr hielten.
    Die meiste Zeit lag ich bäuchlings auf dem Boden.
    Die Welt erschien mir so flach. Manchmal sah ich mich im Schlaf über den Rand hinausrutschen.
     
    Einmal kniete Aaron neben mir.
    »Hast du zu Robert gehört?«, fragte er.
    Nein, dachte ich.
    »Nein«, sagte ich. »Wir waren Freunde.«
     
    Jede Nacht tastete ich meinen Körper ab und empfand seine Unversehrtheit wie einen Verrat.
    Jede Nacht fiel mir Farn ins Gesicht.
    Sofern ich schlief, träumte ich schlecht.
     
    Aaron gewährte mir zwei Wochen.
    Dann setzte er sich zu mir und sagte: »Du musst wieder unter Leute.«
    Ich nickte.
    »Wollen wir nächsten Samstag ein Essen machen?«, schlug er vor. »Wir laden nur unsere engsten Freunde ein.
    Ich willigte ein. Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach.
    »Du wirst dich wohlfühlen«, sagte er.
    »Ja.«
    Alles entzieht sich, alles verschließt sich. Alles, worüber ich nachdenke, zerfällt in Silben und Buchstaben.
    In
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