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Zwölfender

Zwölfender

Titel: Zwölfender
Autoren: Britta Schröder
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komisch.«
    »Und Sie sehen nicht so aus, als würden Sie je komische Dinge tun.«
    »Nicht gut genug hingeschaut«, erwiderte ich.
     
    Wir stiegen wieder in den Bus. Gelegentlich bemerkte ich aus dem Augenwinkel, wie mein sonderbarer Nachbar mich verstohlen betrachtete.
    Dass er sich irgendwie für überlegen hielt, provozierte mich.
    Zunächst erwog ich, in eine der inzwischen freien Reihen hinter uns zu wechseln, aber dann entschied ich, das Feld nicht zu räumen.
     
    Ich streckte mich in meinem Sitz und fragte: »Warum reisen Sie nach Copiapó?«
    »Ich lebe dort.«
    Seine Antwort überraschte mich ebenso wie der freundliche Tonfall, in dem er sie gab.
    »Und was haben Sie in Santiago gemacht?«
    Er spielte mit dem Griff seiner Krücke, lehnte sie dann jedoch mit einer entschlossenen Geste wieder ans Fenster. »Ich musste eine Weile lang weg. Probleme mit den Behörden und meinen Papieren. Nebenbei ist Copiapó klein genug, damit jeder jeden zu kennen glaubt. Wenn man sich zu lange dort aufhält, wird man zwangsläufig zu dem, den die anderen in einem sehen.«
    Er kratzte sich am Hals. »Und Sie? Ferien?«
    Seine Offenheit stimmte mich milde. Dennoch gab es keinen Anlass, ihn in meine Pläne einzuweihen.
    »Ja. Kennen Sie ein einfaches Hotel, das Sie mir empfehlen können?« – »Im Übrigen: Trifft das, was Sie beschreiben, nicht auf jeden Ort zu?«
    Merce zuckte mit den Schultern. »Kann sein.«
    Er sah aus dem Fenster.
    »Wegen dem Hotel … Es liegt eines auf meinem Weg. Ich zeige es Ihnen.«
     
    Mein Unmut über ihn wich allmählich der Neugierde.
    »Kann es nicht sein«, schlug ich vor, »dass wir – wenn nicht genau, so doch viel mehr als uns eigentlich lieb ist – die sind, für die uns die anderen halten? Was wir tun und sagen, wie wir sprechen, uns bewegen und Entscheidungen treffen. – All das formt doch ein Bild, das Aufschluss gibt?«
    »Einen Dreck gibt es!« Sein Gesicht bekam etwas Unerbittliches. »Unser Sein erleidet einen kläglichen Abfluss ins Tun. Weil wir von der verdammten ersten Sekunde an zwischen zwei unterschiedlich starken Magneten sitzen: Glück und Verzweiflung. Jeder versucht, das eine zu erreichen und dem anderen zu entkommen. Und was ergibt die ganze Übung? – Eine ständige Verrenkung! Nein. Niemand ist mit sich identisch.«
     
    Die Vehemenz, mit der Merce unser Thema und mich anging, tat mir wohl. Und was er sagte, kam mir merkwürdig vertraut vor …
    Wie ich ansetzte, ihm etwas zu entgegnen, tauchte das australische Mädchen neben uns auf. Sie verzog den Mund zu einem süßlichen Lächeln, wackelte herausfordernd mit dem Kopf und fuhr Merce spitz an: »Darf ich Sie bitten, etwas leiser zu sprechen? Mein Freund und ich versuchen gerade, zu schlafen.«
    Mein Nachbar richtete sich auf, sah ihr direkt ins Gesicht und sagte trocken: »Halts Maul, Schnepfe.«
    Auch dieser Satz, ruhig und deutlich ausgesprochen, gefiel mir. Dennoch vermied ich, um mich weder mit ihm noch mit ihr zu solidarisieren, jeden Blickkontakt.
     
    Das Mädchen stand einen Moment lang wie angewurzelt im Gang, tippelte dann ein paar Schritte vor und zurück – offenbar unschlüssig, ob sie sich beim Fahrer oder bei ihrem Freund beschweren sollte – und brachte sich schließlich wieder neben uns in Position.
    »Auch Sie verkommenes Subjekt«, fauchte sie Merce in einem Tonfall an, der ihren Stolz auf die gewählte Formulierung nicht verbarg, »haben sich an die Regeln der Gemeinschaft zu halten!«
    Ich musste lachen. »Bitte beruhigen Sie sich doch«, lenkte ich ein. »Wir werden uns bemühen, etwas leiser zu sprechen.«
    »Einen Scheiß werden wir!«, fuhr Merce dazwischen.
    Ich schaute zu ihm herüber und verstand.
    »Ja. Stimmt«, hörte ich mich sagen, während ich mich wieder dem Mädchen zuwandte. »Einen Scheiß werden wir.«

7
    Tatsache war, dass Merce und ich bis zu unserer Ankunft in Copiapó gar nicht mehr miteinander sprachen. Nachdem das Mädchen abgezogen war, wechselten er und ich nur einen kurzen Blick, in dem wir unser beiderseitiges Erstaunen über meine Antwort teilten.
     
    Ich schloss die Augen und sah unseren Gedanken dabei zu, wie sie auf derselben Kreisbahn Rollschuh liefen. Schnell, zunächst. Nach ein paar Runden entschleunigten sie sich und fuhren auseinander.
    Ich verließ die Bahn und fiel in eine Schlucht aus grobkantigen Steinen und weiten Tönen. Jazz oder so.
    Ich träumte.
    Ich blickte an mir herunter und folgte dem Verlauf einer Narbe, die meinen
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