Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwölfender

Zwölfender

Titel: Zwölfender
Autoren: Britta Schröder
Vom Netzwerk:
Vorhaben (schon dieses Wort war ja die reinste Übertreibung) vollkommen irrwitzig. Allein Roberts Entschiedenheit trieb mich an.
     
    Unten im Hausflur stand Rosa.
    Sie gab mir eine Tüte mit Proviant.
    »Viel Glück«, sagte sie und strich mir über die Wange.
    Auf dem Weg zur Busstation zog ich mein Herz an einer fransigen Schnur über den Bürgersteig.
     
    Mein Gepäck war so leicht, dass ich es in den Bus mitnehmen durfte.
    An der Station standen Robert und ich noch eine Weile bedrückt beieinander. Ich vermisste ihn schon jetzt und tröstete mich mit der Aussicht, ihn spätestens im September in Deutschland wiederzusehen. Er versicherte mir, dass er mir in der Zwischenzeit mailen würde.
     
    Als ich in den Bus einstieg, stand er auf dem Trottoir und schob die Hände in die Hosentaschen. Ich sah ihn durchs Fenster. Trotz seiner blonden Haare fiel er unter den Chilenen nicht auf. Ich verstand nicht, wie er das machte, und bewunderte ihn noch einmal für seine Fähigkeit, überall zu Hause zu sein.
    Dann fuhren wir ab.

6
    Zwölf Stunden Fahrt bis Copiapó.
    Ich wusste so gut wie nichts über diesen Ort. Nur, dass er am Rand der Atacamawüste lag und dass ich von dort aus einen Weg in die Dünen und an die Küste finden würde.
    Meine Mitreisenden waren offenbar ebenso müde wie ich und verhielten sich ruhig. Nur ein australisches Pärchen im Fond machte durch einen kurzen Disput auf sich aufmerksam: Sie hatte die Digitalkamera im Hotel liegenlassen und fühlte sich schuldig. Da es ihr nicht gelang, sein Herz durch Reue zu erweichen, wurde ihre flüsternde Mädchenstimme allmählich giftig.
    Nun befand er sich in der Verteidigungsposition.
    Der Kampf endete mit einem Unentschieden.
     
    »Weiber«, stöhnte der Mann neben mir.
    Ich schaute ihn an, doch er saß mit geschlossenen Augen und verschränkten Armen in seinem zurückgeschraubten Sitz und zeigte sich nicht im Geringsten an meiner Meinung interessiert.
    Er roch nach feuchter Matratze, hatte ungepflegtes schulterlanges Haar, eine dunkle ölige Haut, schmutzige Fingernägel und trug einen Flanellanzug, der nur an wenigen Stellen seine ursprüngliche Farbe preisgab. An seinem rechten Ringfinger glänzte ein in Gold gefasster Onyx.
    Ich schätzte ihn auf Ende vierzig.
    Neben ihm, am Fenster, lehnte eine Krücke.
     
    »Sprechen Sie mit mir?«, gab ich in einem möglichst harmlosen Tonfall zurück.
    Ich spürte, wie sich meine Arme anspannten. Ich wünschte uns beiden, dass seine Reaktion nicht allzu dumm ausfallen würde.
    Er drehte den Kopf, öffnete anderthalb Augen, musterte mich und begab sich wieder in seine Ursprungshaltung. Nur daran, dass er sich ausgiebig an einem Ellenbogen kratzte, konnte ich ablesen, dass irgendwie Bewegung in ihn kam.
    Er antwortete mit einem knappen »Nein«. Und nach einer Weile weiteren Gekratzes:
    »Merce.«
    Ich nannte ihm meinen Namen.
    Danach sprachen wir mehrere Stunden lang nicht mehr miteinander.
     
    Ich dachte an Aaron, ich dachte an Robert und Rosa. Ich vermisste sie alle drei, jeden von ihnen auf eine andere Weise.
    Ich sah aus dem Fenster und in mich hinein. Kein großer Unterschied: Das Karge und das Satte, das Lichtbeschienene und Düstere, die Ebenen und Erhebungen, das Schnelle und das Langsame wechselten einander in mehr oder weniger harschen Brüchen ab.
    Es hätte auch Flüge nach Copiapó gegeben, aber für diese Strecke kam Fliegen nicht in Frage.
     
    Auf einem Bushof in Coquimbo hatten wir Gelegenheit, uns für ein paar Minuten die Füße zu vertreten.
    Ich wartete, bis sich die hinteren Reihen geleert und an mir vorbeigeschoben hatten. Mein Sitznachbar schlief. Ich überlegte, ob ich ihn wecken und auf unseren Halt aufmerksam machen sollte. Nach einem Blick auf seine Krücke unterließ ich es.
    Am Ausstieg schaute ich kurz zurück und sah, wie er plötzlich aufsprang, prüfend – wie im Reflex – seine
Jackett-Taschen abklopfte und uns schnellen Schrittes folgte. Kurz vor der Bustür drehte er um, kehrte zu seinem Sitz zurück, griff sich die Krücke und folgte erneut. Jetzt humpelte er.
     
    Neben ihm auf dem Busplatz stehend, sprach ich ihn an: »Das mit der Krücke – ich habe es gesehen.«
    Er wandte sich um eine Achteldrehung von mir ab, wippte vor und zurück und kratzte sich dann mit der Rechten am Kopf, wobei er die Krücke mit anhob.
    »Ich habe sie kurzfristig vergessen.«
     
    »Wissen Sie, Merce«, sagte ich nach einer Weile, »nicht, dass es mich etwas anginge, aber Sie benehmen sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher