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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz
Autoren: Adalbert Seipolt
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ihn ebenso. Er liebt den See und sagte uns, daß er in den nächsten Tagen in den Ortschaften am Westufer predigen werde.
    Andreas, nie ums Wort verlegen, wie du weißt, faßte sich ein Herz und fragte ihn: >Wirst du dasselbe predigen wie der Täufer? Daß die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt ist und jeder Baum, der keine guten Früchte bringt, ausgehauen wird? Und daß niemand dem Zorne Gottes entrinnen kann, wenn er nicht umdenkt und Buße tut?«<
    »Ich werden den Leuten verkünden, daß das Reich Gottes nahe ist«, sagte er.
    »Wie nahe, Meister?« fragte Andreas ungeniert.
    Der Meister deutete auf den Becher und das Brot. »So nahe wie der Wein, den ihr trinkt, so nahe wie das Brot, das ihr eßt, so nahe wie diese Höhle, die uns umschließt.« Wir blickten uns verwundert an, Andreas und ich.
    »Das würde ja heißen, das Reich Gottes ist schon da?«
    »Solange ihr bei mir seid und ich bei euch bin, ja.«
    »Dann bist du also tatsächlich der, von dem Johannes gesagt hat, daß einer kommen wird, der größer ist als er und dem er nicht einmal die Schuhriemen auflösen darf?«
    »Der bin ich.«
    »Aber du bist doch gar nicht größer als er, fast einen halben Kopf kleiner«, sagte Andreas verwundert. »Und drohend wirkst du auch nicht. Er aber hat verkündet, daß du eine Wurfschaufel in der Hand haben und die Spreu vom Weizen trennen wirst; den Weizen bringst du in deine Scheune, die Spreu verbrennst du im Feuer. Ehrlich, Meister, ich trau dir das nicht zu. Du siehst aus wie jemand, der Weizenkörner als Samen in die Ackerfurchen streut.«
    Jesus, so nennt er sich, erwiderte nichts darauf, sondern fragte mich, ob wir noch etwas Eßbares bei uns hätten. »Ja«, sagte ich, — Fische, sind zwar nicht mehr die frischesten, wir haben sie uns als Proviant mitgenommen, aber gebraten schmecken sie ausgezeichnet«. Ich holte sie gleich aus meinem Beutel und zeigte sie ihm; er nickte.
    Andreas schlug aus Steinen Feuer ; bei ihm klappt das immer auf Anhieb. Im Hintergrund der Höhle lag reichlich Holz. Jesus meinte, wir dürften alles aufbrauchen, da er morgen sowieso weiterziehe. Bald prasselte ein lustiges Feuer, die Fische bruzzelten in der kleinen Eisenpfanne. Der Hunger, den wir ganz vergessen hatten, meldete sich. Wir verschlangen die Fische ganz heiß; ich verbrannte mir fast den Mund. Bloß gut, daß noch genügend Wein im Schlauch war.
    Während das Feuer niederbrannte und die Nacht sich ins Jordantal senkte, erzählte Jesus von Erlebnissen, die er in der Wüste hatte. Vierzig Tage hielt er sich dort auf und wurde immer wieder vom Teufel versucht. Einmal sollte er aus Steinen Brot machen, dann von der Zinne des Tempels sich herabstürzen. Ich habe das alles nicht richtig begriffen; ich wurde auf einmal so schläfrig, konnte nur mit Mühe die Augen offenhalten und muß bald eingeschlummert sein. Aber Andreas hat gut aufgepaßt. Den macht der Wein immer munter, mich macht er müde. Auf dem Heimweg heute morgen hat er heftig mit mir geschimpft. Daß ich schlafen kann, wenn der Meister spricht. Das sei nicht nur unhöflich, sondern unverzeihlich. Denn eine solche Nacht kehre nie mehr wieder.
    Mag ja sein, daß ich manches verschlief, aber es wurde trotzdem eine unvergeßliche Nacht. Ich brauche nur die Augen zu schließen und sehe, höre und fühle alles vor mir, das flackernde Feuer, die Stille der Wüstennacht, seine ruhige, klare Stimme, seine Worte vom Reich Gottes. Glaub mir, Simon, er ist der Messias!
    Frühmorgens weckte er uns: >Ihr müßt aufbrechen. Die Arbeit wartet auf euch.« Die Arbeit! Simon, wenn's nur die Arbeit wäre und nicht auch der sturste Vater auf der ganzen Welt. Andreas fragte ihn noch, wann wir ihn Wiedersehen dürften. »Wer mich sucht, den finde ich auch«, erwiderte er.
    »Wißt ihr den Weg?« Den wußten wir nicht. Er begleitete uns noch bis zu einem Felsvorsprung, von dem aus wir die Dörfer am See erkennen konnten. >Nun findet ihr leicht ins Vaterhaus zurück<, sagte er und reichte uns die Hand zum Abschied.
    Auf dem Heimweg habe ich lange darüber nachgedacht, warum er den feierlichen Ausdruck Vaterhaus gewählt und dabei so hintergründig gelächelt hat. Ob er über unsere prächtigen Familienverhältnisse Bescheid weiß? Das nächste Mal werde ich ihn um seine Meinung fragen. Vielleicht lebt er auch in Streit mit seinem Vater und kann nachfühlen, daß ich hier raus will.«
    Wieder stieg die Wut in ihm hoch. »Es ist nicht mehr zum Aushalten, sag ich dir. Da kehrt man
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