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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz
Autoren: Adalbert Seipolt
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Schreck.
    Ich springe vor, zwei andere mit mir, wir stellen uns schützend vor Jesus. Wer weiß, der Verrückte geht womöglich mit dem Messer auf ihn los. Doch Jesus zeigt keinerlei Angst, macht sogar noch einen Schritt auf ihn zu, streckt gebieterisch die Hand aus und fährt ihn an: »Dämon, schweig und fahr aus von ihm.«
    Der Mann fällt zu Boden, krümmt und windet sich, wimmert, heult, brüllt, tobt vor Schmerzen — der helle Wahn, sag ich euch. Plötzlich noch ein wildes Zucken durch den ganzen Körper, dann liegt er still, restlos verausgabt und stöhnt nur noch. Jesus winkt uns, wir versuchen, den Ärmsten auf die Füße zu stellen. Er öffnet die Augen, kein Haß lodert mehr in ihnen; aber er ist völlig erschöpft und schämt sich zu Tode. Jesus sagt uns: »Bringt ihn hinaus.« Stumm öffneten die Leute eine Gasse, mit leichtem Grausen musterten sie den Geheilten. Aber auch Jesus war ihnen unheimlich. Daß einer den Dämonen befiehlt und sie ihm gehorchen, wer hat das bei uns schon erlebt? So gingen die meisten erschüttert nach Hause.«
    »Nicht so begeistert wie du?« fragte Simon.
    »Man kann doch erschüttert und begeistert zugleich sein. Außerdem habe ich einen besonderen Grund zur Freude. Jesus ist auf dem Wege zu uns.«
    Johannes fuhr auf. »Das sagst du erst jetzt? Los, zurück ans Ufer!« Er schob Andreas unsanft von der Ruderbank und legte sich in die Riemen wie bei einer Regatta.
    »Zu uns, hab ich gesagt, nicht zu euch, Zebedäus. Damit ihm dein Vater die Tür vor der Nase zuknallt, was?«
    Da fragte ihn Simon verwundert: »Zu uns? Wozu denn?«
    »Wegen deiner Schwiegermutter. Die plagt zwar kein böser Dämon, sondern nur das Fieber. Schaden kann es auf keinen Fall, wenn er sie besucht. Er war sofort bereit dazu.«
    »Du hältst ihn wohl für einen Wunderdoktor«, tadelte ihn Simon. »Du solltest doch gestern gemerkt haben, daß er die Seelen heilen will, nicht Haut und Knochen.«
    »Ja, ja«, gab Andreas zu, »aber um Weiber zu heilen, muß man kein approbierter Doktor sein. Denen hilft jeder, der ihnen absolutes Vertrauen einflößt, und das tut Jesus bei deiner Schwiegermutter bestimmt.«
    »Eine ungünstigere Zeit hast du dir wohl nicht aussuchen können«, warf Simon unwillig ein. »Esther ist für acht Tage außer Haus bei Tante Ruth, Schwiegermutter vom Fieber geschwächt — wer soll Jesus gebührend empfangen und bewirten?«
    »Überlaß das mir! Was notwendig ist, kann ich, Brot schneiden und Wein einschenken. Jesus genügt das. Hauptsache, ihr beeilt euch ein bißchen. Schaut hinüber, da wartet er schon auf uns.« Er schwenkte begeistert die Arme: »Rabbi, wir kommen.«
    Johannes ließ das Boot mit voller Wucht auf den Strand auffahren, die Kiesel spritzten zur Seite. Dann sprang er heraus und umarmte Jesus überglücklich. »Daß du wieder da bist, Meister! Jetzt laß mich nicht wieder fort!«
    Andreas war rasch in seine Kleider geschlüpft und stellte Jesus seinen Bruder vor, der unschlüssig, ja fast etwas befremdet im Hintergrund stand. »Das ist Simon, mein älterer Bruder, Fischer wie wir alle. Die kranke Frau ist seine Schwiegermutter.«
    Jesus reichte Simon die Hand. Die beiden Männer blickten sich forschend in die Augen. Johannes hat recht, durchfuhr es Simon, diese Augen lassen einen nicht mehr los. Endlich löste Jesus das Schweigen. »Herzlich willkommen, Simon!«
    »Herzlich willkommen müßte ja ich sagen, Meister«, sagte er verlegen, »in unserem Dorf und in meiner Hütte. Du mußt allerdings entschuldigen, meine Frau besucht gerade ihre Tante in Arbela, um ihr bei der Bohnenernte zu helfen. Unseren Kleinen hat sie mitgenommen, Joschi heißt er.«
    »Schade«, sagte Jesus, »es hätte mich gefreut, sie kennenzulernen.«
    »Ist nicht so schlimm«, raunte ihm Andreas zu, »kochen tut seine Schwiegermutter besser.« Simon warf ihm den typischen strafenden >Großen-Bruder-Blick< zu ; außerdem ärgerte es ihn, wie vertraulich Andreas mit dem Rabbi umging, nach eintägiger Bekanntschaft.
    Sie machten das Boot fest und begaben sich ins Haus.

Ein Fischfang und mütterliche Vermutungen darüber

    Frau Lea, Simons Schwiegermutter, traute ihren Ohren nicht. Sie hatte sich während der heißen Mittagsstunden im dunkelsten Zimmer niedergelegt und zu schlafen versucht. Woher kamen diese vielen Stimmen? Sie hatte doch Simon ausdrücklich gebeten, die Nachbarschaft fernzuhalten. Simon trat ins Zimmer, zog die Vorhänge beiseite. »Mama, der Rabbi Jesus möchte dich
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