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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz
Autoren: Adalbert Seipolt
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freudestrahlend zurück, möchte jedem um den Hals fallen und vom Messias erzählen — und wird schon an der Tür angebrüllt: — Wo hast du dich herumgetrieben? Nachts gehörst du ins Haus. Marsch an die Arbeit!« Am liebsten würde er mich anketten wie die Kähne. Aber der wird was erleben.«
    »Was willst du tun?«
    »Den Trennungsstrich ziehen, endgültig. Sonst springen wir uns eines Tages an die Kehle.«
    »Und wohin willst du gehen?«
    »Zu ihm, zu Jesus. Er kann nicht weit sein. Und wenn ich alle Höhlen in der Wüste absuchen müßte, ich finde ihn.«
    »Wenn er dich aber nach Hause schickt wie gestern?«
    »Dann geh ich nicht nach Hause.«
    »Du würdest nicht einmal deinem großen Meister gehorchen?«
    »Ich würde ihm meinen Fall gründlich erklären. Und, ich wette, er versteht mich.«
    »Mag sein. Aber ob er auch Verwendung für dich hat?«
    »Für mich keine Verwendung? Na hör mal, Simon, du kennst mich doch. Drücke ich mich vor irgendeiner Arbeit? Packe ich nicht überall zu, wo man mich braucht? Oder bin ich aufs Hirn gefallen? Dann erinnere dich gefälligst daran, wer von uns am schnellsten kopfrechnen kann!«
    Simon mußte lachen. »Schon gut, beruhige dich! Niemand streitet dir deine Vorzüge ab. Den wichtigsten hast du sogar vergessen: Du bist noch nicht gebunden. Selbst wenn ich, von deiner Begeisterung angesteckt, diesem Jesus folgen wollte, ich könnte es genausowenig wie dein Vater.«
    »Bitte, Simon, vergleich dich nicht mit dem.«
    »Nur in diesem Punkt: wir tragen beide Verantwortung für eine Familie und fürs Geschäft. Wir müssen uns mit den Großhändlern herumstreiten und mit dem Steuerbeamten, müssen die Medizin für die Schwiegermutter besorgen und der Frau wenigstens einen Teil der Kleiderwünsche erfüllen... Da bleibt keine Zeit, durch Sanddünen zu wandern und unterm Sternenhimmel mit einem geliebten Rabbi Einsamkeit, Stille und Rotwein zu genießen.«
    Johannes konnte seinen Ärger nur mühsam unterdrücken. »Einen solchen Schwachsinn serviere mir bitte kein zweites Mal mehr! Bist du Vaters Freund oder der meine?« Und er wäre wohl noch ausfälliger gegen Simon geworden, hätte er nicht vom Ufer her Andreas rufen hören: »Hallo, hallo, ihr da draußen. Wartet!«
    Und während sich die beiden im Boot fragten, was wohl passiert sei, warf Andreas sein Gewand ab, sprang kopfüber ins Wasser und kraulte auf das Boot zu, als wären ihm Krokodile auf den Fersen. In wenigen Minuten hatte er es erreicht; jetzt klammerte er sich am Bootsrand fest und keuchte: »Der helle Wahn, der helle Wahn!« Mehr Worte als diesen Lieblingsausruf schaffte er erst, als sie ihm ins Boot geholfen und auf der Ruderbank niedergesetzt hatten. Daß er keine Unglücksnachricht, sondern eine Freudenbotschaft brachte, verrieten seine strahlenden Augen.
    »Also, wo brennt es?« fragte ihn Simon.
    »Brennen? Das ist gut gesagt. Hier brennt's.« Andreas schlug sich auf die Stelle, wo er das Herz vermutete. »Und wie.« Dann wandte er sich an Johannes: »Warum bist du denn nicht gekommen?«
    »Nach Kapharnaum? Das frag meinen Vater. War Jesus dort?«
    »Klar. Und Hunderte von Menschen. Er muß dort schon einmal gepredigt haben, und ein guter Rabbi spricht sich schnell herum. Da strömen die Leute zusammen, die Frommen und die Neugierigen. Der redet aber auch wie einer, der Macht hat. Ganz anders als unsere ortsübliche Priesterschaft. Bei ihnen hast du den unguten Verdacht, sie lesen alles im Geiste von den Schriftrollen ab. Bei dem weißt du, es kommt alles von innen heraus. Und wie einfach er sich ausdrückt: ohne Fremdwort, ohne unverständliche Fachbegriffe. Immer fängt es mit einer alltäglichen Geschichte an, vom Brotbacken, von der Aussaat oder vom Senfkorn — und schon sind wir im Himmelreich gelandet. Ihr könnt euch vorstellen, welch schiefes Maul unsere Schriftgelehrten ziehen. Einer machte sich eifrig Notizen, wahrscheinlich wollte er dem Meister eine Falle stellen. Er hat sich aber doch nicht getraut, die Leute hätten ihn auch aus der Synagoge geprügelt. Aber das Unglaublichste passierte am Schluß. Der helle Wahn, sag ich euch. Ein Mann, angeblich ein Schmied aus Chorazin, zwängte sich durch die dichten Zuhörerreihen, stürzte auf Jesus zu und schrie gellend, mit völlig unnatürlicher Fistelstimme: >Was willst du von uns, Jesus? Kommst du, uns zu vernichten? Ich weiß, wer du bist, der Heilige Gottes.« Und er spuckte ihm blutigen Schleim vor die Füße. Alles war starr vor
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