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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz
Autoren: Adalbert Seipolt
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elegantem Wagen, fürstlichem Gehalt und vielversprechenden Beziehungen nach Rom. Darum muß ich ja auch so viel Lateinisch lernen. Eine langweilige Sprache.«
    »Und du selber, was möchtest du werden?«
    »Dasselbe wie Sie!«
    »Aber ich bin doch gar nichts.«
    »Ein Jünger des Herrn, ist das nichts?«
    Für einen Augenblick verspürte der Alte das, was der Psalmist das Hüpfen des Herzens nannte. Doch er dämpfte seine Freude und sagte: »Jünger des Herrn ist wenig, wenn du es mit einem Olympiasieger oder einem Staatsbeamten vergleichst. Außerdem bist du noch zu jung dafür.«
    »Zu jung?« entgegnete Polykarp entrüstet. »Na hören Sie mal! Waren Sie etwa älter, als der Herr Sie rief? Keine achtzehn Jahre, und wie alt bin ich?Siebzehn und sieben Monate, um ganz genau zu sein. Und haben Sie nicht behauptet, daß Jesus keine lebensmüden Greise, sondern lebensfrohe junge Menschen zu sich gerufen hat?«
    »Habe ich, ja. Es gibt allerdings auch lebensfrohe Greise. «
    »Klar, Sie zum Beispiel.«
    Johannes breitete die Arme aus. »Poly, in diesem Rennen hast du gesiegt.«
    »Klar, ich siege meistens, bei jedem Wettlauf im Gymnasium, obwohl ich kaum trainiere.«
    »Meinen Glückwunsch!«
    »Ach, lassen Sie das, mir liegt überhaupt nichts mehr daran. Woran mir liegt, müßten Sie am besten wissen. Oder haben Sie die ganze Zeit über mich hinweggesehen? Ich habe jedes Wort, das Sie diktierten, nicht nur auf diese Tafel geschrieben, sondern auch noch woandershin. Wenn ich nur die Eltern davon überzeugen könnte! Eines Tages laufe ich fort, genauso wie Sie.«
    »Ich bin nicht fortgelaufen«, sagte Johannes ernst, »ich folgte dem Herrn.«
    » Klar, aber im Endeffekt war es dasselbe: weg von daheim, hinaus in die Welt und etwas erleben. Ich würde mich allerdings vorher genau erkundigen, welchem Menschen ich folge und nicht ohne weiteres einem wildfremden Mann nachlaufen, bloß weil er mir auf die Schulter klopft und sagt: Komm, Poly! Ehrlich gesagt, entweder waren Sie damals wahnsinnig naiv oder Jesus wahnsinnig faszinierend.«
    »Darf ich dich erst einmal beruhigen?« sagte Johannes lächelnd. »Wahnsinnig waren wir beide nicht. Doch tatsächlich, gegen einen Menschen wie Jesus gibt es keine andere Rettung als die Liebe.«
    Poly schwieg lange, ehe er fragte: »War Jesus schön?«
    »Du bist ein echter Grieche«, antwortete Johannes, »was ihr liebt, muß schön sein.«
    » Klar, stimmt das etwa nicht?«
    »Wenn das stimmt, war Jesus schön.«
    »Groß?«
    »Etwas kleiner als ich, damals.«
    »Schlank? Aber das versteht sich von selbst. Ein dicker Messias — ausgeschlossen. Wie waren seine Augen?«
    »Unwiderstehlich.«
    Der Junge mußte lachen. »Sie schwärmen noch immer, und das mit 80 Jahren! Ich wollte die Farbe wissen, braun oder blau?«
    »Da fragst du mich zuviel. Wer denkt bei solchen Augen an die Farbe?«
    »Und seine Stimme? Baß oder Tenor?«
    »Bariton«, erwiderte Johannes salomonisch.
    »Ideale Mittellage also. Und wie war er gekleidet?«
    »Wie alle Juden. Im Sommer genügte der sogenannte Leibrock, im Winter trug man noch Hosen, Mantel und feste Sandalen. Was willst du jetzt noch wissen!«
    »Wie das Wetter war.«
    »In Galiläa? Fast immer Sonne und klare Luft, nicht so schwül und staubig wie in deinem Ephesus.«
    »Ich meine das Wetter an dem Tag, als Sie Jesus gefolgt sind.«
    Johannes dachte eine Zeitlang nach. »Es herrschte kein ungewöhnliches Wetter, wie du das vielleicht erwartest. Oder doch. In der Nacht zuvor hatte sich ein Sandsturm ausgetobt, und so war die Luft doppelt rein und durchsichtig, wie sonst nur im Winter.«
    »Erst Sturm, dann klare Luft. Warum verschweigen Sie das alles Ihren Lesern?«
    » Aber, Poly, das Reich Gottes hängt doch nicht vom Wetter ab.«
    »Mag sein, aber manche möchten es doch wissen, zum Beispiel ich: Polykarp, Sohn des Nikanor von Ephesus, 17 Jahre Mensch, 2 Jahre Christ, 1,75 m groß, 65 kg schwer, schwarze Haare, schwarze Augen, ovales Gesicht...«
    »... und besonderes Kennzeichen: Herz auf dem rechten Fleck.«
    »Finden Sie?« Polykarp blinzelte ihn skeptisch an. » Manchmal komme ich mir reichlich schief gewickelt vor. Aber das ist jetzt nicht wichtig. Wichtig ist das hier.« Er klopfte auf die Schreibtafel. Dann holte er das verschnürte Paket mit den Pergamentrollen unter der Steinbank hervor, suchte die erste heraus, entrollte sie und zeigte sie Johannes.
    »Hier, diese Stelle meine ich«, und er deutete auf den Schluß des ersten Kapitels. »
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