Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz
Autoren: Adalbert Seipolt
Vom Netzwerk:
Wie Sie und Andreas bei Johannes dem Täufer stehen, Jesus vorübergeht und Johannes zu Ihnen sagt: >Seht, das Lamm Gottes!<, und Sie Jesus nachgehen, ihn nach seiner Adresse fragen und bei ihm bleiben. In der zehnten Stunde. Kein Wort, was ihr bei Jesus getan und worüber ihr gesprochen habt. Als ob ihr ihn stumm angestarrt hättet von der zehnten bis zur wer-weiß-wievielten Stunde! Sie zählen zwar schon 80 Lenze, Johannes, aber Sie sehen noch gut wie ein Falke und hören wie eine Fledermaus. Warum sollte ausgerechnet das Gedächtnis an Altersschwäche leiden? Das machen Sie mir nicht weis. Bitte, strengen Sie sich an!« Was sollte Johannes mit diesem ungestümen Dränger tun? Ihn fortjagen? Ihm klarmachen, daß er müde war! Doch er war gar nicht müde, im Gegenteil, die fröhliche Neugier des Jungen hatte ihn erfrischt wie Quellwasser. Wochenlang hatte dieser gehorsam niedergeschrieben, was er ihm diktiert hatte, ohne ihn durch Zwischenfragen zu stören oder abzulenken; und das zu Zeiten, die seine Altersgenossen auf dem Sportplatz oder am Strand verbrachten.
    »Diese zehnte Stunde«, sagte er nachdenklich, »hätte sie mir damals nicht geschlagen, was wäre wohl aus mir geworden? In Ephesus und deiner Gesellschaft wäre ich bestimmt nicht, sondern vermutlich am Ankerplatz unsrer Boote unweit Betsaida, umgeben von Enkeln und Urenkeln, denen ich alte Fischermärchen erzähle. Am See von Galiläa? Für euch Griechen, die ihr von Ephesus nach Sizilien, Spanien und Ägypten segelt, ist er nur eine größere Pfütze. Doch für uns war er ein Meer und eine volle Welt. Du müßtest meine Heimat sehen, um mich zu begreifen. Ganz anders als diese quirlige, nervöse Weltstadt mit ihrem Völkergemisch. Ganz anders auch als Jerusalem, unsere Hauptstadt, Hochburg von Macht und Geist, Geschäft und Frömmigkeit, Hingabe und Betrug. Jerusalem lag weit weg von uns, hoch in den Bergen. Dort blickten sie auf uns herab, in jeder Hinsicht. Wir waren kleine Leute, alles lebte vom See. Die einen fingen die Fische, die anderen verkauften sie oder pökelten sie ein. Und weil das zum Leben kaum ausreichte, legte jeder einen Acker hinter seiner Hütte an und, wenn's ging, noch einen Weinberg oder Olivenhain. Die Ortschaften nannten sich Städte; du würdest sie als Dörfer bezeichnen. Jeder kannte jeden-eine vertraute, winzige, kleinliche Welt. Wir hätten jedermann ausgelacht, der prophezeit hätte, daß ausgerechnet bei uns das Reich Gottes anbrechen würde. Wer waren wir denn? Nicht dumm, aber ungebildet,- geschickt, Netze zu knüpfen und auszuwerfen, aber höchst ungeschickt, kunstvolle Sätze zu fügen und Menschen zu lehren.«
    »Aber fromm werdet ihr doch gewesen sein?«
    »Fromm?« Der Alte wehrte ab. » Was heißt fromm? Das hättest du den Judas fragen müssen, den einzigen von uns, der aus Jerusalem stammte. >Euer religiöser Pegel erreicht höchstens galiläischen Landesdurchschnitt, pflegte er zu spötteln und meinte damit, daß wir uns mit einem bißchen Gottesdienst am Sabbat, einem bißchen Pilgern nach Jerusalem, einem bißchen Fasten und säumigem Zahlen des Zehnten begnügten. Von dem, was sie in Jerusalem, der Zitadelle des Glaubens, unter Religion verstanden und praktizierten, verspürten wir, seiner Meinung nach, kaum einen Hauch. Irgendwie hatte er recht. Beim Beten plapperten wir wie die Heiden. Erst Jesus brachte uns das richtige Beten bei.«
    »Du sprichst immer in der Mehrzahl. Anscheinend habt ihr Zwölf gut zusammengehalten.«
    » Meistens! Wir waren das, was ihr heute eine Clique nennt; keine Horde, die der Zufall zusammentreibt, auch kein Verein mit Satzungen und Beitrag, sondern eine lockere feste Gemeinschaft, wie sie sich unter Altersgenossen und Arbeitskameraden bildet. Viel freie Zeit ließen uns die Väter nicht; aber die wenige wollten wir nicht unbedingt in Rufweite des Elternhauses verbringen. So fanden wir uns halt zu allen möglichen Unternehmungen zusammen, manchmal auch unmöglichen.« Er kicherte vergnügt vor sich hin. »Wart ihr verrufen?«
    »Nur ein bißchen gefürchtet — ich meine bei unserer Konkurrenz aus Kapharnaum. Wie das halt so ist, bald gab es Streit, bald gab es Spaß. Jeder reiche Fang wurde gefeiert — mehr mit Wasser als mit Wein, denn Taschengeld war knapp. Noch mehr mit Gesang oder was wir dafür hielten. Herrgott, waren wir jung damals, sträflich jung! Ihr frühreifen Großstadtpflanzen wißt ja gar nicht mehr, was Jungsein heißt. Und deshalb, glaube ich, hat uns Jesus
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher