Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz
Autoren: Adalbert Seipolt
Vom Netzwerk:
genug ist; wie ich als Großstadtpflanze schätze, eine halbe Stunde.«
    »Die wollen wir aber nicht untätig verbringen. «
    »Sondern?«
    »Wir gehen fischen. Mach das Boot von der Kette los, schnell, und hol das kleine Zugnetz aus der Hütte! Beeil dich!«
    Was hatte er nur auf einmal! wunderte sich Poly. Er tut ja, als könnte ihm ein Konkurrent den Fang seines Lebens wegschnappen, und ist aufgeregt wie mein Freund Clemens vor dem ersten Rendezvous.
    Er war ihm auch behilflich, ins Boot zu steigen, damit er nicht das Gleichgewicht verlor. Johannes hielt das Netz in der Hand, der Junge führte die Ruder.
    » Zufrieden?« fragte Poly.
    Der Alte nickte. »Ja, so muß es sein, genauso wie beim letzten Mal, nur daß du kein Petrus bist. Fahren wir noch ein Stück, dann werf ich das Netz aus.«
    »Und dann erzählen Sie! Vielleicht lockt das die Fische an. «
    »Paß besser auf meine Worte als auf die Fische auf«, schärfte ihm Johannes ein, »zusammenfassen mußt du nämlich das Kapitel selber. Einverstanden?«
    »Klar, allmählich kriegt man Übung. Kein Philologe wird einen Unterschied merken, dafür garantiere ich.«
    Johannes fing an zu erzählen.
    »Es war ein schöner Morgen, noch stiller und klarer als heute. Ungehindert schweifte der Blick über unser Galiläisches Meer, zu den sanften Hügeln im Westen, wo sich Kana und Naim verstecken, zu den Fischerdörfern im Norden, wo die dünnen Rauchfahnen aus den Kaminen steigen, zum flachen Südufer, wo der Jordan seine Wasser sammelt, bis zur unruhigen Scheitellinie der Golanberge im Osten. Das war unsere Heimat, Poly — sie war auch Jesus zur Heimat geworden. In Nazareth war er aufgewachsen, zur Schule gegangen, hatte er gearbeitet im Betrieb seines Vaters — das Land am See aber war ihm ans Herz gewachsen, da hatte er sein Zelt aufgeschlagen und unter uns gewohnt. Hier hörte er das erste Echo auf seine Frohe Botschaft, hier gewann er die ersten Freunde, hier zeigte sich erstmals die Kraft Gottes, die ihn trieb, sich der Blinden und Lahmen, Aussätzigen und Besessenen, der Lebenden und der Toten zu erbarmen. Keine Straße, die er nicht betreten, kein Ort, in dem er nicht gepredigt, kein Hügel, auf dem er nicht nächtelang gebetet hatte. Welcher Landstrich war von seiner Liebe heftiger überschüttet worden als das Land am See! Und doch stießen sie die ausgestreckte Hand Gottes zurück. Zwar klatschten sie seinen Worten Beifall, jubelten über seine Wunder, warfen die Krücken fort und verbrannten ihre Lepraklappern. Aber gedankt haben sie es ihm nicht. Wer blieb ihm treu, als seine Stunde kam, von all den Tausenden, die er gelehrt, geheilt und wunderbar gespeist hatte! Nicht einmal wir zwölf.
    Das waren schwere Gedanken, die mich erfüllten, als wir — Simon, Natanael, Thomas und ich — dem Ufer zustrebten. Gefangen hatten wir in der Nacht so gut wie nichts. Plötzlich erkenne ich am Ufer, nur umrißhaft wegen der Dämmerung und der Nebelschleier auf dem Wasser, eine menschliche Gestalt. Ein Mann, den Mantel über die Schulter geschlagen, stand unbeweglich, wie einer der steinernen Philosophen vor eurer Bibliothek. Wir ruderten zögernd näher. Da rief uns der Fremde an — ja, der Fremde, muß ich zu meiner Beschämung gestehen, denn wir erkannten den Meister noch nicht. Er rief uns zu, ob wir etwas zu essen hätten. Und als wir den Kopf schüttelten, forderte er uns auf, das Netz auf der rechten Seite des Bootes auszuwerfen.«
    »Soll ich das auch tun, Johannesl« unterbrach ihn Poly, »auf der linken Seite beißt kein Fisch an.«
    » Probier's! Wir probierten es auf sein Geheiß hin auch. Muß ich dir jetzt erzählen, was geschah?«
    »Lassen Sie nur, ich kann's mir leicht vorstellen: Es war wie bei eurem ersten Fischfang mit ihm, an jenem hellen Mittag, als ihr ihn ausgelacht habt. Auf einmal schossen, wie durch ein geheimes Kommando alarmiert, die Fische aus der Tiefe ses Sees nach oben und stürzten in euer Netz, daß es zu reißen drohte. Dabei saß Jesus diesmal gar nicht im Boot... «
    »Sondern nur wir, wir Kleingläubigen. Doch jetzt merkten selbst wir, wer der Mann war. Es ist der Herr! rief Petrus, sprang sofort ins Wasser und schwamm in kräftigen Stößen ans Ufer. Wir hatten Mühe, ihm mit dem vollen Netz zu folgen. Jesus hatte ein Feuer entzündet, legte die Fische, die wir ihm — stumm vor Scheu und Freude — auf seinen Wunsch hin gaben, in die Glut, briet sie und reichte jedem ein Stück Brot dazu. Kinder, ihr müßt doch was essen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher