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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz
Autoren: Adalbert Seipolt
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Nein, ich bin gekommen, um zu dienen. Ich hatte gehofft, ihr nehmt euch ein Beispiel daran.«
    Betroffen blickten sie zu Boden, Andreas und Philipp stammelten eine Entschuldigung. Thaddäus' Augen suchten Natanael. Der war doch der Klügste von ihnen und in den heiligen Schriften bewandert. Galten die letzten Sätze Jesu wörtlich, mußten sie jetzt die leeren Teller abtragen, das Geschirr spülen, die Gläser säubern und den Tisch für den nächsten Gang herrichten. Oder hatte er wieder im Gleichnis gesprochen und es war gar nicht wörtlich gemeint? Ach, dachte Thaddäus, hätten wir etwas langsamer getrunken, dann fiele das Nachdenken leichter.
    Jesus erkannte, wie beschämt sie waren. Er wollte sie nicht vor den Frauen demütigen und von der Dienerschaft auslachen lassen. Er trat in ihre Mitte, faßte mit der Rechten Philipp, mit der Linken den Zeloten und sprach in jenem Ton, den sie an ihm liebten: »Sind wir nicht Freunde? Liebe ich euch nicht, wie mich mein Vater liebt? Liebt also einander, wie ich euch liebe. Mehr verlange ich nicht von euch. Nur vergeßt es nicht: Eine größere Liebe hat niemand, als wer sein Leben hingibt für seine Freunde.«
    Ihre Augen leuchteten auf. Jetzt hatte er nicht mehr in Gleichnissen, sondern offen zu ihnen gesprochen. Auch Jakob und Johannes wagten wieder, den Kopf zu heben.
    Jesus bat Jakob, ihn bei seiner Mutter zu entschuldigen, er habe noch zu tun, wünschte allen eine gute Nacht und verließ das Haus. Keiner drängte ihn zu bleiben; sie kannten ihn lange genug, um zu wissen, daß er sich zurückzog, um in der Einsamkeit mit seinem Vater zu sprechen.
    Es brauchte seine Zeit, bis die Stimmung wieder stieg. Fröhlich wurden sie erst, als plötzlich der kurze Jakob in der Küchentür erschien. Über dem Kopf hielt er ein riesiges Tablett mit Schüsseln und Platten. Langsam senkte er es nieder und stellte es sorgsam auf den Tisch. Als die Gäste von der bloßen Bewunderung der leckeren Sachen zur unverzüglichen Einverleibung schreiten wollten, klopfte er ihnen auf die Finger und erklärte ex cathedra: »Wer nicht dienen will, soll auch nicht essen.« Sie waren verblüfft, aber Levi schlug ihm kräftig auf den Rücken und rief: »Bravo, Posaunist! Du hast Jesus wenigstens zur Hälfte begriffen«, und er eilte zur Küche, um das nächste Tablett zu holen.
    Was Mütter und Schwiegermütter an Koch- und Backkunstwerken geschaffen hatten, war höchstes Lob wert. Neidlos bewunderten die jungen Ehefrauen den kulinarischen Einfallsreichtum der älteren Generation; die Frau des Thomas schrieb sich heimlich die Rezepte auf, und Magdalena raunte Natanael ins Ohr, besser werde beim Hohenpriester auch nicht gekocht. Natanael hob entrüstet die Brauen, ließ es sich aber trotzdem schmecken, wie alle anderen. Schließlich mußte man sich kräftigen für den kommenden Tag.
    Als die Platte mit den Käsehappen herumgereicht wurde, erschien auch Judas Iskariot, mit dem Reisegewand angetan, schwenkte die Geldkatze und ließ die Münzen klingen. »Kinder«, rief er vergnügt, »die Kasse stimmt. Von mir aus kann's losgehen.«
    »Bravo, Judas«, jubelten sie, und jeder rückte zur Seite, um ihm Platz zu machen. So übermütig erlebte man den Kassenwart nicht alle Tage. Und jeder hob den Becher und trank ihm zu. Oder wollte es zumindest. Johannes merkte es als erster.
    »Wir haben keinen Wein mehr«, sagte er betrübt.
    »Keinen Wein mehr?« fragte Andreas zurück. »Und der Meister ist nicht mehr da.«
    »Nein«, sagte Judas lachend, »der Meister betet draußen auf dem Berg für uns, ist ja auch enorm wichtig heute, und hat keine Zeit mehr, mit einem Wunder zu helfen. Kana ist vorbei, liebe Freunde, endgültig vorbei. Schaut nicht so belämmert! Einmal muß jede Hochzeit ihr Ende finden, und für euch war's höchste Zeit. Ihr hättet vor lauter Feiern das Kämpfen vergessen. Jetzt heißt's, die Becher weg, die Schwerter her! Kameraden, unsere Stunde ist gekommen!« Er sprang auf, stimmte an, und alle schmetterten mit, auch mit trockener Kehle:
    »Römer, habt ihr es vernommen?
    Israel steht auf zum Krieg.
    Unsere Stunde ist gekommen,
    unsere Zukunft ist der Sieg.«
    »Das genügt jetzt«, sagte sich die Kaltmamsell, die Salome für den Abend angeheuert hatte, band sich die Schürze ab und verschwand durch die Hintertür, um dem Ortsvorstand der Pharisäer Bericht zu erstatten.

Brief der elf Jünger aus Galiläa an die Freunde und Verwandten daheim

    Alle unsre Lieben daheim!
    Einen frohen Gruß
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