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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz
Autoren: Adalbert Seipolt
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aus Jerusalem. Wir sind am Ziel.
    Der Weg hierher glich einem Triumphzug. Von Tag zu Tag wuchs unsere Truppe. Hunderte stürmten voraus, Tausende folgten hinterher. Und eine Stimmung, wie Andreas zu sagen pflegt: Der helle Wahn! Die konnten auch einige dunkle Andeutungen des Meisters nicht trüben; er ist halt nervlich furchtbar angespannt. Kein Wunder, die Entscheidung steht unmittelbar bevor. Doch uns erlaubt er, fröhlich zu sein. Was haben wir gesungen und getanzt, gebetet natürlich auch. Jeder Tag ein Fest!
    Unterwegs keine auffallenden Wunder, bis auf eine Blindenheilung in Jericho. Aber dann, vor den Toren der heiligen Stadt, der gewaltige Paukenschlag, mit dem keiner gerechnet hatte: Jesus rief einen Toten aus dem Grabe, einen Freund von ihm. Für uns sind Totenerweckungen ja nichts Neues mehr (Naim!), trotzdem hat es uns gepackt, und die Jerusalemiten noch hundertmal mehr. Jetzt wußten es alle, Freunde wie Feinde: Seine Stunde ist gekommen. Aber hat er überhaupt noch Feinde?
    Bei seinem Einzug jedenfalls haben sie sich alle versteckt. Da schlug die Begeisterung des Volkes alle Rekorde. Schade, daß ihr nicht dabeisein konntet!
    Judas, unser Kassier, hätte natürlich gerne das Ganze ein bißchen choreographisch gestaltet, war auch bereit, die hohe Leihgebühr für ein prächtig gezäumtes Reitkamel zu zahlen, Posaunenchöre und Ehrenjungfrauen zu organisieren, aber der Meister wollte es schlicht, provozierend schlicht, man könnte sagen, auf galiläische Art. So blieb es bei der Improvisation, eine Eselin als Reittier, Kleider als roter Teppich und abgerissene Palmenzweige als Jubelfahnen.
    Ein rauschendes Volksfest — was wird erst am Paschafest selber sein? Nicht auszudenken!
    Die (noch amtierende) Obrigkeit schaute mit Mißvergnügen zu; aber die Tempelpolizisten klatschten Beifall — wenn ihr Hauptmann außer Sicht war. Sie griffen auch nicht ein beim nächsten Akt des Geschehens, im Vorhof des Tempels. Freunde, ihr habt was verpaßt. Jesus brauchte nur zornig die Geißel zu schwingen und den ersten Wechslertisch in der Räuberhöhle umstoßen, das genügte. Alles übrige besorgte unsere kampferprobte Mannschaft, angespornt durch Jakobs Posaune. Wirtshausrauferei im Quadrat, und das mit dem Segen des Meisters. Wir zeigten es dem gewinnsüchtigen Gesindel.
    Endlich war Platz geschaffen für die Blinden, Lahmen, Gichtkranken und Besessenen. Und Jesus heilte, heilte, heilte. Die Massen strömten herbei. Seither spricht er offen im Tempel. Seine Feinde, wenn er überhaupt noch welche hat, hüten sich, ihn anzutasten, der Volkszorn würde sie zerreißen.
    Judas meint, daß die Aktien des Messias ausgezeichnet stehen. Es geht unaufhaltsam voran.
    Wir wissen nicht, ob wir zum Schreiben kommen in den nächsten Tagen. Das eine aber wissen wir und sollt auch ihr wissen: Am Paschafest pflanzen wir die Siegeszeichen auf. Bis dahin seid umarmt und gegrüßt von

    Johannes und Jakobus
    Simon Petrus und Andreas
    Philipp und Natanael
    Judas Thaddäus und Simon
    Jakobus und Levi Matthäus
    und Thomas.

NACHSPIEL IN EPHESUS

    Der Morgen graute. Über den Wiesen am Fluß stiegen die Lerchen jubilierend zum Himmel empor, die fröhlichen Boten des Tages. Poly waren während der letzten Nachtstunden die Augen manchmal zugefallen, doch jetzt schien er wieder völlig munter zu sein und wies den Vorschlag des Johannes, sich doch noch ein wenig aufs Ohr zu legen, trotzig zurück.
    »Dazu habe ich in der Schule Zeit genug, Geometrie, Latein und Rhetorik!« Er seufzte. »Dagegen weiß ich nicht, wie lange ich Sie noch habe, um meine Fragen zu beantworten. Sie sind der letzte Zeuge jener Zeit, der einzige auf Gottes Erdboden, der den Herrn noch persönlich gekannt hat. Eigentlich sollte man Sie einfrieren und je nach Bedarf auf-tauen, in 100, 1000 oder 2000 Jahren. Ich bin überzeugt, daß die Menschen dann noch mehr fragen als ich, weil sie sich euer Zusammenleben mit Jesus noch weniger vorstellen können.«
    »Du wünschst mir ja eine reichlich frostige Unsterblichkeit«, sagte Johannes, »und wann darf ich endlich beim Herrn sein?«
    »Das sind Sie doch immer, Johannes«, gab Poly zur Antwort, »Sie, als der erste, der liebste und treueste der Zwölf.«
    »Seit wann teilt der kritische Gymnasiast Komplimente an alte Männer aus?« fragte Johannes belustigt.
    »Keine Sorge, ich schränke sie gleich wieder ein. Stand unter dem Brief der Jünger nach Hause nicht auch Ihre Unterschrift} Sie waren klug beraten, diesen Brief nicht
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