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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz
Autoren: Adalbert Seipolt
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ihr das ausgeheckt oder eure ehrgeizige Mama? Er sagte aber etwas, was niemand erwartete: »Ihr wißt überhaupt nicht, worum ihr bittet. Könnt ihr denn den Kelch trinken, den ich trinken werde?«
    Die beiden Brüder tauschten fragende Blicke. Kelch? Was hatte ein Kelch mit ihrem Wunsch zu tun? Doch die Mutter nickte ihnen eifrig zu, und so sagten sie, mit ungewohnter Feierlichkeit: »Wir können es.«
    Da prustete Andreas hinter ihnen vor Lachen los und rief, den Becher schwenkend: »Klar, Meister, es gibt doch nichts, was die nicht trinken können.«
    Wütend drehte sich Johannes um und herrschte ihn an: »Halt deinen Schnabel! Bist du gefragt? Was tust du hier überhaupt?«
    Andreas zuckte zurück, mit wütenden Donnersöhnen war nicht zu spaßen. »Entschuldige«, lallte er, 'tschuldige, daß ich in die Familie eingedrungen bin.« Und er zog beleidigt ab.
    Beleidigt war auch Frau Salome, und zwar in höchstem Grad. Womöglich hatte der neugierige Nachbarjunge alles verdorben. Doch Jesus schien der Ausrutscher des Andreas in keiner Weise zu irritieren. »Meinen Kelch werdet ihr zwar trinken«, sagte er zu den Brüdern, »doch die Posten zu meiner Rechten und zu meiner Linken zu vergeben, das steht nicht mir zu, sondern meinem Vater.«
    Das klang sehr endgültig. Trotzdem wollte Frau Salome noch hinzufügen, irgend etwas werde sich hoffentlich arrangieren lassen und ob er nicht ein gutes Wörtlein bei seinem Vater für ihre Söhne einlegen möchte; doch ein zorniges Aufflammen in den Augen des Jüngsten nahm ihr die Courage. Ihr fiel plötzlich ein, daß sie in der Küche gebraucht werde. Gekränkt rauschte sie davon. Das nächste Mal sollen sie selber den Mund aufmachen, schwor sie sich, ich verbrenne mir den meinen nicht mehr ihretwegen. Nichts als Ärger hat man mit den Kindern.
    Erbost über die Zurechtweisung hatte Andreas sofort im Saal verbreitet, welches Ansinnen die beiden Brüder mit Hilfe ihrer ehrgeizigen Mutter an Jesus gestellt hatten. Helle Empörung im Saal. Was fällt den beiden ein? Sie waren zwar unter den vier ersten Gefährten des Meisters; doch wo steht geschrieben, daß sie deswegen die Nummer eins und zwei im Reiche Gottes sind? Ausgerechnet Jakob, der über jeden längeren Satz dreimal stolperte, und Johannes, dieser explosive Benjamin? Darf man dem einen wichtigen Posten anvertrauen, nur weil er unlängst seinen 18. Geburtstag gefeiert hat? Da haben wir alle ein Wörtlein mitzureden. So etwas muß gründlich besprochen werden. Und wenn wir uns nicht einigen, verlosen wir die Ämter. Vorrechte werden nicht geduldet. Im Reiche Gottes herrschen gleiche Rechte, eine Küche für Extrawürste wird da nicht aufgemacht. Oder haben sie etwa mehr geleistet als wir? Keinen einzigen Dämon konnte Jakob austreiben, mir gehorchten sieben. Und bei dem mondsüchtigen Knaben hat sich Johannes auch keinen Lorbeerzweig verdient. Wahrscheinlich steckt ihre Mama dahinter, die schwitzt ja vor Ehrgeiz und träumt schon lange davon, daß ihr Liebling auf die Spitze der Pyramide klettert. Hat sie etwa die ganze grandiose Fete nur eingefädelt, um beim Meister um gut Wetter anzuhalten und ihm im günstigen Moment eine Zusage abzuluchsen? So weit kommt es noch, daß sich Weiber in Staatsgeschäfte einmischen.
    In der Aufregung merkte keiner, daß Jesus in den Saal zurückgekehrt war, hinter ihm Jakob, rot über die Ohren und Johannes blaß bis an die Haarwurzeln. Ihnen war die Lage furchtbar peinlich; einen solchen Sturm hatten sie nicht auslösen wollen.
    Beim Anblick des Meisters dämpften die lautesten Schreier ihre Stimmen, vor allem schimpften sie nicht mehr verächtlich über die Weiber ; sie wußten, daß Jesus anders gesinnt war.
    Thomas machte sich zum Sprecher der Empörten: »Stimmt es, daß ihr die ersten Plätze für euch fordert?« fragte er die Zebedäussöhne.
    »Sie wollen die Größten sein und sind nicht einmal die Längsten«, schrie Philipp dazwischen. Natanael hielt ihm den Mund zu: »Mäßige dich.«
    Johannes und Jakob machten in ihrer Verlegenheit einen so hilflosen Eindruck, daß es den anwesenden Frauen in die Seele schnitt; schon wollten sie Fürsprache einlegen, da redete Jesus die aufgebrachte Jüngerschaft zornig an:
    »Schämt ihr euch nicht? Müßt ihr um Posten streiten wie die Mächtigen dieser Welt? Ich habe es euch gesagt: Bei euch soll es nicht so sein. Wer unter euch der Größte werden will, der sei der Diener aller. Bin ich etwa gekommen, um mich von euch bedienen zu lassen?
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