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Der Mann auf dem Balkon

Der Mann auf dem Balkon

Titel: Der Mann auf dem Balkon
Autoren: Maj Sjöwall;Per Wahlöö
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    2 Uhr 45. Die Sonne ging auf.
    Anderthalb Stunden zuvor hatte der Verkehr nachgelassen und war dann gänzlich erstorben. Auch das Gemurmel der letzten Restaurantbesucher war verstummt. Die Kehrmaschinen waren vorbeigefahren und hatten da und dort dunkle, feuchte Streifen auf dem Asphalt hinterlassen. Ein Krankenwagen war die lange, gerade Straße entlanggerast. Ein schwarzes Auto mit weißen Kotflügeln, einer Antenne auf dem Dach und dem Wort POLIZEI in weißen Blockbuchstaben auf den Türen war langsam und geräuschlos vorbeigerollt. Fünf Minuten später hatte es geklirrt. Jemand hatte mit behandschuhter Faust die Scheibe eines Aushängekastens eingeschlagen, und gleich darauf erklangen schnelle Schritte. Dann heulte in einer Seitengasse ein Motor auf.
    Der Mann auf dem Balkon hatte dies alles beobachtet. Er stand auf einem der üblichen Balkone mit Eisengitter und Seitenverkleidung aus Wellblech. Er hatte die Unterarme auf das Eisengeländer gestützt und rauchte. Bei jedem Zug leuchtete das Ende seiner Zigarette wie ein kleiner dunkelroter Punkt in der Dunkelheit auf. In gleichmäßigen Zeitabständen hatte er eine Zigarette ausgedrückt, vorsichtig den knapp einen Zentimeter langen Stummel aus dem Holzmundstück herausgepolkt und neben sich zu den anderen gelegt. Zehn solcher Zigarettenstummel lagen nun ordentlich ausgerichtet in der Untertasse auf dem kleinen Gartentisch.
    Es war so still, so still, wie es in einer sehr großen Stadt in einer lauen Sommernacht eben werden kann. Es würde noch einige Stunden dauern, bis die Zeitungsboten mit ihren ausrangierten Kinderwagen erschienen und die ersten Reinemachfrauen zur Arbeit gingen.
    Das graue Halbdunkel der Morgendämmerung löste sich langsam auf. Die ersten zögernden Sonnenstrahlen erschienen über den fünf-und sechsstöckigen Häusern und wurden von den Fernsehantennen und den runden Schornsteinaufsätzen auf den Dächern der gegenüberliegenden Häuser zurückgeworfen. Später fiel der Lichtschein direkt auf die Dächer, schob sich schnell weiter, schlich über die Dachrinnen und dann an verputzten Ziegelwänden mit blinden Fensterreihen entlang. Bei den meisten Fenstern waren innen die Rollos oder außen die Holzjalousien heruntergelassen.
    Der Mann auf dem Balkon beugte den Oberkörper vor und schaute die Straße entlang. Sie verlief schnurgerade von Norden nach Süden, so daß er mehr als zwei Kilometer überblicken konnte. Früher war sie eine stolze und elegante Prachtstraße gewesen, damals, als die Häuser erbaut wurden. Vierzig Jahre waren seither vergangen. Die Straße war ganz genauso alt wie der Mann. Mit einiger Anstrengung konnte er, weit entfernt, eine verschwommene Gestalt erkennen. Vielleicht ein Polizist. Zum erstenmal seit vielen Stunden ging er in die Wohnung zurück, durchquerte das Zimmer und betrat die Küche. Es war so hell, daß er kein Licht anzumachen brauchte. Er war stets sehr sparsam mit Strom, auch im Winter. Er ging zum Kühlschrank, nahm eine emaillierte Kanne heraus, maß ein und eine halbe Tasse Wasser und zwei Löffel grob gemahlenen Kaffee ab. Er stellte die Kaffeekanne auf den Herd und zündete die Gasflamme an. Mit den Fingerspitzen tastete er nach dem abgebrannten Streichholzkopf, um sich zu vergewissern, daß er nicht mehr glühte. Dann öffnete er die Tür des Abwaschschrankes und warf das abgebrannte Streichholz in die Mülltüte. Er stellte sich neben den Herd, bis der Kaffee aufkochte, drehte dann das Gas ab und ging, während sich der Kaffeegrund setzte, auf die Toilette. Er spülte nicht nach, um die Nachbarn nicht zu stören. Danach ging er in die Küche zurück, goß den Kaffee vorsichtig in eine Tasse, nahm ein Stück Zucker aus einem halbleeren Paket auf dem Abwaschtisch und einen Löffel aus der Schublade. Anschließend trug er die Tasse auf den Balkon, stellte sie auf den gefirnißten Gartentisch und setzte sich auf einen Klappstuhl. Die Sonne stand schon höher und beleuchtete die Hausfassaden auf der anderen Seite der Straße bis hinab zu den unteren Wohnungen. Der Mann zog eine vernickelte Tabakdose aus der Hosentasche, riß die Zigarettenstummel einen nach dem anderen auf, ließ die Tabakkrümel zwischen den Fingern in die runde Blechdose fallen, knüllte die Papierstückchen zu erbsengroßen Kügelchen zusammen und legte sie auf den angestoßenen Porzellanteller. Dann rührte er den Kaffee um, hob die Tasse langsam zum Mund und trank einen Schluck. Wieder ertönte in der Ferne eine Sirene. Er
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