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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz
Autoren: Adalbert Seipolt
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des Meisters bewahrten sogar Andreas und Philipp davor, den Übermut auf die Spitze zu treiben.
    Die Bedeutung des nächsten Tages war ihnen voll bewußt, und immer wieder stießen sie auf dieses Ereignis an. Thomas bezeichnete es als »historisch« (woher bezieht er nur seine Fremdwörter?). Der kurze Jakob nutzte die Chance und intonierte mit der Posaune den Marsch der alten Jerusalemkämpfer. Die Besatzungsbehörden hatten ihn verboten, doch das störte niemand in der Fischersiedlung. Beim ersten Takt sprangen sie auf, schwenkten die Becher und schmetterten aus voller Kehle und vollem Herzen, der Zelot am lautesten von allen:

    Juda, stehe auf vom Schlafe,
    sei nicht langer Romas Knecht,
    sei nicht länger Romas Sklave,
    schaff dir Freiheit, schaff dir Recht.
    Juda, laß dich nicht mehr treten!
    Gott hilf dem, der tapfer ringt.
    Laßt erschalln die Kriegstrompeten,
    daß es bis zum Kaiser dringt.

    Salome lehnte an der Küchentür und genoß die Situation. Waren diese jungen Männer mit ihrer Begeisterung und Kampfeslust nicht eine wahre Augenweide? (Ein Ohrenschmaus freilich weniger). Eine Mannschaft, die anzuführen jeden mit Stolz erfüllen mußte. Ihre Augen suchten den Meister. Er sang nicht mit, er saß am Tisch, in sich gekehrt, wirkte erschöpft und irgendwie bedrückt. Vom Wein kostete er nur selten und die Späße der Freunde schien er gar nicht wahrzunehmen. Wie konnte es auch anders sein, dachte Salome, er trägt ja die Verantwortung für alles, was mit dem nächsten Morgen auf sie zukam.
    Vielleicht war es nicht der allergünstigste Moment, Jesus jetzt eine Bitte vorzutragen. Aber wann sollte sie es sonst tun? Morgen früh brach er nach Jerusalem auf; sie mit Zebedäus erst eine Woche später. Also mußte die Sache noch heute geregelt werden.
    Sie wartete, bis Jesus sich erhob, um vor der Tür etwas frische Luft zu schöpfen, gab ihren Söhnen einen unauffälligen Wink und folgte ihm. Daß auch Andreas, schon leicht angeheitert, den Wink auf sich bezog, merkte sie nicht. »Nun, Meister«, fragte sie, »gefällt Ihnen das Fest?«
    Jesus antwortete mit den liebenswürdigen Komplimenten, die ein wohlerzogener Gast einer noblen Gastgeberin zu sagen pflegt.
    Salome strahlte. »Ja, für die Freunde meiner Kinder tu ich alles. Doch wollen Sie uns schon verlassen, Meister? Das Beste steht noch aus. Das dürfen Sie nicht versäumen. Johannes kann Ihnen nachher beim Einpacken helfen.« Ärgerlich zupfte Johannes die Mutter am Ärmel, um ihre Aufdringlichkeit zu bremsen. Da fiel ihr ein, daß Jesus ja nur wenige Habseligkeiten sein eigen nannte und das Einpacken in Minutenschnelle erledigt sei.
    »Danke, Frau Salome«, sagte Jesus, »ich finde mich allein zurecht. Doch Sie haben was auf dem Herzen. Sie steuerten so zielstrebig auf mich zu.«
    Sie rückte zwei Stühle nebeneinander. »Setzen wir uns, Meister!« Den Söhnen bedeutete sie, stehenzubleiben. Wie sehr Andreas die Ohren spitzte, merkte sie noch immer nicht.
    »Es geht um folgendes, Meister. Sie kennen ja Mütter jeder Sorte, aber in einem sind sie alle einig: sie wünschen ihren Kindern Glück und Erfolg. Ach, und ich bin so stolz auf meine beiden Buben.«
    Die »Buben« erröteten sanft.
    »Da dürfen Sie auch stolz sein, Frau, und zwar auf alle beide.« Das betonte Jesus nachdrücklich, weil ihm längst aufgefallen war, wie sehr der wortkarge Jakob im Schatten des temperamentgeladenen Johannes stand.
    »Sie haben mir ja nun gewissermaßen die Erziehung aus der Hand genommen«, fuhr Salome fort, »und damit die Verantwortung für ihre Zukunft. Bestimmt haben Sie Ihre besonderen Pläne mit den beiden, und wohl auch Ihre triftigen Gründe, diese Pläne vorerst nicht an die große Glocke zu hängen. Ich möchte mich da auch gar nicht einmischen. Es wäre nur eine unendliche Beruhigung für mich als Mutter, zu erfahren, welche Posten Sie Ihnen zuweisen werden. Ich kenne mich in den Titeln und Würden nicht aus, möglicherweise führen Sie ganz neue Ämter ein. Ich meine nur angesichts der Tatsache, daß beide, Johannes und Jakob, zu den Männern der ersten Stunde gehören, verdienen sie es auch — bildlich gesprochen — zu Ihrer Rechten und Linken sitzen zu dürfen.«
    Johannes trat nervös von einem Fuß auf den andern. Konnte sich Mutter nicht kürzer fassen in dieser nun doch etwas peinlichen Angelegenheit? Auch Jakob schien nicht übermäßig glücklich. Jesus warf einen kurzen prüfenden Blick auf die beiden, als wollte er sich vergewissern: Habt
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