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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz
Autoren: Adalbert Seipolt
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die man ihm schnellstens abgewöhnen sollte, dachte Simon. »Papa macht morgen eine weite Reise. Und weißt du, was er dir mitbringt aus Jerusalem? Ein hölzernes Reitpferd!«
    Und dann spielte er hoppe, hoppe, Reiter; Joschi strahlte und zupfte noch fester am Bart. Simon zog es vor, das Kind wieder ins Bett zu legen. Und jetzt mußte er ihn in den Schlaf singen. Um Himm els willen, wie denn bloß? Eiapopeia, was raschelt im Stroh? Da fiel ihm ein, er brauchte ja nur das Fenster zu öffnen; beim Zebedäus nebenan schmetterten sie den Jerusalemmarsch. Als Einschlafmusik mußte das reichen. Joschi wurde denn auch richtig munter davon, setzte sich im Bett auf und schwenkte die Arme begeistert wie ein Tambourmajor.
    Voller Glück betrachtete der Vater den Sohn. Ja, das war Fleisch von seinem Fleisch, Blut von seinem Blut, Herz von seinem Herzen. Und davon sollte er sich losreißen? Jesus, was verlangst du von mir? Werde ich vielleicht nie erleben, wie er die ersten selbständigen Schritte macht, die ersten Sätze formt, sich Stück um Stück die Welt erobert? Was wird der Sohn später von seinem Vater halten? Wird er voller Verachtung sagen: Mein Vater hat auf die falsche Karte gesetzt, er, selbst ein Phantast, hat sein Schicksal mit dem allergrößten Phantasten verbunden und ist gescheitert?
    Wird er seinen Namen abschütteln, jede Erinnerung an ihn austilgen? Oder wird er sich stolz in die Brust werfen: Ja, wenn mein Vater nicht mitgemacht hätte, was wäre dann aus dem Reich des Messias geworden? Jesus, laß es das zweite sein, laß die dunklen Andeutungen über Leiden und Tod nicht wahr werden, du mußt doch siegen, die Pforten der Hölle dürfen dein Reich nicht überwältigen!
    Esther trat ein. Das Schwert war geschliffen, aber Joschi schlief noch nicht. Wie sollte er das auch bei diesem kriegerischen Lärm von nebenan. Wenn sie ihn wenigstens auf Zimmerlautstärke einstellen würden. Sie schloß das Fenster. Joschi erhob schreiend Protest.
    »Da hörst du den Erfolg deiner pädagogischen Bemühungen«, scherzte sie, »zum messianischen Prinzenerzieher wirst du hoffentlich nicht ernannt. Zur Strafe für dein Versagen wirst du jetzt wirklich singen, und zwar jenes schöne Pilgerlied, das wir auf unsrer ersten gemeinsamen Reise nach Jerusalem gesungen haben, mindestens hundertmal, und sogar getanzt haben wir nach der Melodie.«
    »Esther, du weißt doch, was für ein musikalischer Stockfisch ich bin.«
    »Zier dich nicht, wir singen zusammen!
    Wie freute ich mich, als es hieß:
    wir ziehen zum Haus des Herrn!
    Schon nahen sich unsere Füße
    deinen Toren, Jerusalem.«
    Eine Strophe, zwei, drei, vier sangen sie (genau gesagt: sie sang, er brummte), bis Joschi eingeschlummert war. Behutsam deckte sie das Kind zu. Dann verließen sie die Kammer. »Bist du jetzt mit deiner Frau zufrieden?« fragte sie.
    »Sicher mehr als meine Frau mit mir.«
    Darauf sagte sie gar nichts. Aber sie umarmte ihn.
    Zur Abschiedsfeier im Hause des Zebedäus ging Simon entgegen seiner ursprünglichen Absicht nicht mehr. Er blieb die ganze Nacht bei seiner Frau.

Auf nach Jerusalem!

    Im Hause des Zebedäus ging es hoch her. Frau Salome hatte ihren Söhnen erlaubt, alle Freunde einzuladen samt weiblicher Begleitung. So erschienen Levi, Judas Thaddäus und Thomas mit ihren Ehefrauen (sie waren eigens zum Friseur gegangen), Andreas mit seiner Braut Rebekka, Philipp provozierend allein, nicht einmal mit Natanael zusammen. Ihm hatte man — auf allgemeinen Beschluß — Magdalena als Tischdame aufgezwungen, zur Buße, wie er sagte. Der kurze Jakob brachte natürlich seine Posaune mit, der Zelot sein Marschgepäck und Waffenarsenal. Simon Petrus ließ sich durch seine Schwiegermutter vertreten und kündigte für später sein Erscheinen an, ebenso Judas, der noch über der Abrechnung saß. Mit von der Partie war noch der Fischerwirt Mattias. Er sperrte für diesen Abend seine Kneipe zu, die Stammkundschaft war sowieso bei Zebedäus versammelt. (Zebedäus selber, das sei nachgetragen, weilte auf der Jahrestagung des Fischereiverbandes; er hätte einer solch gemischten Gesellschaft in seinem Hause kaum das Feiern erlaubt.)
    Und wie sie feierten! Unwillkürlich wurden Erinnerungen an Kana lebendig. Freilich ging es nicht ganz so lärmend und feuchtfröhlich zu wie damals. Der Vorfreude auf den Einzug in Jerusalem war doch viel Wehmut beigemischt; der Abschied von Eltern, Geschwistern, Frauen und Kindern für eine unbestimmte Zeit und der ernste Blick
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