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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz
Autoren: Adalbert Seipolt
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gerufen.«

Es war um die zehnte Stunde

    Die ganze Fischersiedlung wußte es, die Zebedäus waren eine temperamentvolle Familie. Meinungsverschiedenheiten, bei denen man anderswo vielleicht die Tonlage verschärft, den Vogel zeigt, und im schlimmsten Fall die Tür zuschlägt, kämpfte die Familie Zebedäus mit ohrenbetäubenden Schimpfkanonaden, geballten Fäusten und stampfenden Füßen aus, wobei sie gelegentlich auch Kochlöffel, Feuerhaken und Blumentöpfe zu Hilfe nahm. Bei uns ist halt Leben in der Bude, pflegte sich Johannes, der jüngere Sohn, vor den Kameraden zu brüsten, wenn er mit geschwollener Oberlippe oder veilchenblauem Auge in der Schule erschien.
    Der alte Zebedäus stand unangefochten an der Spitze seines Fischereibetriebes. Da ihm seine Tagelöhner widerspruchslos gehorchten, erwartete er dasselbe von den Söhnen. Doch die hatten zuviel von seiner herrischen Art und dazu das heiße Blut ihrer Mutter geerbt; sie ertrugen es nicht mehr, vom Vater noch wie Kinder behandelt zu werden. Die Mutter, früher sicher eine reizvolle, jetzt bloß noch reizbare Frau von unstillbarem Ehrgeiz, vergötterte den Jüngsten und ergriff bei Streitigkeiten mit dem Vater stets Partei für ihn. Das weckte den Neid des Älteren, der Jakob hieß, und er hielt zum Vater, falls er nicht selber mit ihm in Fehde lag.
    Lange währten die lautstarken Familienkräche selten. Spätestens am nächsten Tag fand man sich einträchtig bei Tische ein und stärkte sich für den nächsten Schlagabtausch. Im Grunde liebte man sich im Hause des Zebedäus inniger als in manchen Familien, in denen niemand zur rechten Zeit mit der Faust auf den Tisch haut. Gegen Feinde von außen trat man stets geschlossen auf; auch bei Begräbnissen und Hochzeiten erschien man als mustergültige Sippschaft.
    Die Nachbarschaft hatte sich längst an das hochexplosive Familiengemisch gewöhnt und war für ihre Streitereien, denen man bei offenen Fenstern bequem beiwohnen konnte, herzlich dankbar. Sonst gab es nämlich wenig Abwechslung in den Häusern der Fischer.
    Neben den Zebedäus wohnte in einem kleineren Haus der Fischer Simon mit Frau und Kind und Schwiegermutter. Die Schwiegermutter, seit längerem von unerklärlichem Fieber geplagt, hatte sich ihr Ruhebett im schattigen Winkel des Gärtchens richten lassen, das an das Nachbargrundstück grenzte. So konnte sie ungefiltert das turbulente Familienprogramm der Zebedäus empfangen und sich in dem Bewußtsein sonnen, wie still und friedlich es doch in ihrem Hause zuging.
    Am Morgen jenes Tages, der über sein ganzes weiteres Leben entscheiden sollte, suchte Simon sie an ihrem Horchposten auf und teilte ihr mit, daß der Arzt heute, weil Sabbat sei, nicht kommen werde. Da hielt sie den Zeigefinger an die Lippen und machte: »Psst! Hör nur, Simon, sie toben schon wieder, der Alte und der Junge, daß die Fetzen fliegen.«
    »Und wann wirft sich die Alte dazwischen?«
    »Heute überhaupt nicht, die sitzt beim Friseur.«
    Simon lachte. »Vergiß nur nicht, daß du krank bist, Mutter! Und reg dich nicht zu sehr auf!«
    »Ich aufregen? Ich genieße das, mein Bester! Und du solltest dir auch eine Abwechslung gönnen. Bleib da!«
    »Und wer wäscht die Netze?« Er strich ihr liebevoll über die Haare und ging an die Arbeit.«
    Die Schlacht nebenan strebte dem ersten Höhepunkt zu. »Und ich sage dir, du bleibst hier und flickst die Netze«, ertönte die Stimme des Zebedäus.
    »Und ich sage dir, ich bleibe nicht und flicke keine Netze«, erscholl es trotzig zurück, »du willst mich nur festhalten, das ist alles. Leg mich doch gleich an die Kette.«
    »Mit gutem Grund.«
    »Mit gar keinem Grund. Du hast keine Ahnung, worum es geht.«
    »Ich weiß es genau.«
    »Überhaupt nichts weißt du.«
    »Du willst hinüber zum Jordan, um diesen angeblichen Propheten zu hören.«
    »Er ist wirklich ein Prophet.«
    »Ein Wirrkopf von zweifelhaftem Ruf.«
    »Hast du ihn gehört? Warst du schon selber dort?«
    »Das braucht es nicht. Unsere Synagogenvorstände haben ihn gehört, Pinkas und Joseph.«
    »Lauter verbohrte, verbiesterte Greise, können keinen Gedanken mehr verdauen, den sie nicht hundert Jahre lang wiedergekaut haben.«
    »Untersteh dich, ehrenwerte Männer zu beleidigen.«
    »Ehrenwerte Männer, daß ich nicht lache. Diese Heuchler!«
    »Heuchler, sagst du? Wer heuchelt denn mit dem größeren Erfolg? Niemand anderes als dein famoser Prophet vom Jordan. Angeblich nährt er sich von Heuschrecken, lebt anspruchslos
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