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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz
Autoren: Adalbert Seipolt
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begrüßen. Er ist der beste Doktor, den wir für dich finden können.«
    Die Alte brummte nur und musterte voller Mißtrauen den >besten Doktor<, als Andreas ihn hereinführte. Ohne Arztkoffer, ohne den weißen Kittel, wahrscheinlich auch ohne Salben und Pillen? Sie runzelte die Stirn. Der sah eher nach einem Gesundbeter aus, und von denen hielt sie nicht viel. Er prüfte nicht einmal ihren Puls, sondern strich ihr nur freundlich über die verschwitzte Stirne, dann machte er mit dem Zeigefinger eine drohende Gebärde — wahrhaftig drohend.
    »Wie bei dem bösen Geist in der Synagoge«, flüsterte Andreas Johannes ins Ohr. Der erblaßte.
    Auch Frau Lea bemerkte den erhobenen Zeigefinger, seinen Gesichtsausdruck erkannte sie jedoch nicht, weil er gegen das Licht stand.
    Ist das die ganze Prozedur? dachte sie enttäuscht. Ein bißchen mehr darfst dich schon anstrengen für dein Honorar, verehrter Doktor. Du wirst gleich sehen, wie mir schwarz wird vor den Augen, wenn ich den Oberkörper aufrichte. Aber ihr wurde keineswegs schwarz vor Augen, obwohl sie mehr als den Oberkörper aufrichtete, obwohl sie sich sogar auf die Füße stellte und stehenblieb, ohne jede Hilfe — war das möglich? Und die Fieberhitze war auch im Nu aus ihr gewichen. Sie breitete die Arme aus, fragte noch höflich: »Darf ich, Meister?« und als er freundlich nickte, umarmte sie ihn überschwenglich und küßte ihn auf beide Wangen, danach den Simon, den Andreas und sogar den mißratenen Jungen von nebenan, den Johannes.
    Und während Simon eiligst ihr verschwitztes Bettzeug zusammenraffte und im Schrank verstaute, eilte Lea bereits in die Küche, um für den Wunderdoktor eine herzhafte Brotzeit herzurichten, Andreas holte den besten Wein aus dem Keller. Triumphierend blitzten seine Augen die Freunde an: Hab ich nicht recht behalten?
    Simon war dankbar dafür, daß Andreas und Johannes die Unterhaltung mit dem Meister führten. Ihn hatte die Heilung der Schwiegermutter tiefer aufgewühlt, als er hätte zugeben wollen. Er wußte ja, daß es keine eingebildete Krankheit war. Der Arzt aus der Stadt hatte sein Bestes versucht, um die Ursache des Fiebers herauszufinden — vergeblich. Sogar einen Arzt aus Tiberias hatte er konsultiert. Der hatte nur bedauernd die Achseln gezuckt und eine hohe Rechnung ausgeschrieben. Und jetzt hatte Jesus sie geheilt nur durch die Berührung seiner Hand!
    Endlich nahm sich auch Frau Lea Zeit und setzte sich zu den Männern. In ihrem Alter durfte sich eine Frau das ohne weiteres erlauben. Sie quoll fast über vor Gesprächigkeit, lobte ihren Schwiegersohn, klagte über die Schwiegertöchter, ereiferte sich über die lockeren Badesitten der Touristen aus Tiberias und beteuerte ein ums andere Mal, sie fühle sich gesund wie ein Fisch im Wasser.
    Das Brot war gegessen, der Wein ausgetrunken. Jesus wandte sich an Simon. »Tust du mir einen Gefallen, Simon?«
    »Jeden, Meister.«
    »Ich war noch nie beim Fischfang dabei und möchte das gerne einmal erleben. Fahr bitte hinaus auf den See und wirf die Netze aus.«
    Andreas und Johannes konnten — bei allem Respekt vor dem Meister — das Lachen nur mühsam verbeißen. Vom Nachbargrundstück hörte man spöttisches Kichern. Lag da Frau Zebedäus auf der Lauer?
    Simon fühlte sich äußerst unbehaglich. Am liebsten hätte er gesagt: von Krankheiten verstehst du eine Menge, Meister, aber vom Fischen offensichtlich nichts. So dumm ist der dümmste Weißfisch nicht, daß er am hellichten Mittag anbeißt, wenn die Sonne die Wasseroberfläche fast zum Kochen bringt. Er drückte sich aber höflicher aus und erklärte Jesus, sie hätten die ganze Nacht schwer gearbeitet, aber nichts gefangen; da sei es mittags völlig aussichtslos. Unter dem Tisch trat er Johannes auf die Zehen, damit er seine Meinung unterstütze. Aber der sah sich schon mit dem Meister im selben Boot und sagte: »Eine großartige Idee, Meister! Auf zum Fischen, Freunde!«
    »Ich möchte nur daran erinnern, daß die Sabbatruhe schon begonnen hat«, wandte Simon ein.
    »Ach was«, sagte Johannes. »Wer betet, sieht uns nicht, und wer uns sieht, verrät nichts. Der Meister ist doch bei uns.«
    »Meinetwegen. Hoffentlich ist der Meister nicht enttäuscht, wenn gar nichts in den Netzen zappelt«, sprach Simon und gab das Zeichen zum Aufbruch. Im Grund seines Herzens freute er sich ebenso, den Meister noch eine Zeitlang in der Nähe zu behalten und ihn nicht schon wieder den schwärmerischen Jungen zu überlassen.
    An
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