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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz
Autoren: Adalbert Seipolt
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des Zebedäus keinen Zusammenhang zwischen Jesus und der Polizei entdeckte. Sie hielt sich doch sonst für überaus gescheit und versuchte jeden von ihrem Bildungsvorsprung zu überzeugen. Lea empfand endlich einmal das lang entbehrte Gefühl der Überlegenheit. »Darf ich Ihnen behilflich sein, Frau Salome? Denken Sie an das Reich Israel, das Rabbi Jesus wiederherstellen will. Braucht das keine Wächter, keine Hüter der Ordnung wie jedes andere Reich? Nur so kann das Wort zu deuten sein. Jesus hat Simon einen erstklassigen Vertrauensposten angeboten — Ihrem Johannes natürlich auch, nur muß der erst mal mündig werden. Ich predige es Esther schon seit langem, daß ihr Mann nicht dazu geboren ist, als zweitklassiger Fischer zu versauern. Der zieht mindestens einen Großhandel auf — ähnlich dem Ihrigen, Frau Salome — mit Filialen in Tiberias und Cäsarea. Und wer weiß, eines Tages reizt ihn noch die Politik; das Zeug dazu hat er, nur das Reden muß er noch lernen. Esther lachte mich aus, etwas zu voreilig, wie sich zeigt. Und jetzt diese Chance! Ich hoffe nur, daß Simon sie am Schopf packt. Ihm fehlt halt der Ehrgeiz. Vielleicht bringt ihm Rabbi Jesus endlich das nötige Quantum bei. Stellen Sie sich meine Freude vor, wenn ich das erleben dürfte: Simon Bar Jona als Chef der Polizei im neuen Israel! Und Ihr Johannes auf einem ebenso verantwortungsvollen Posten.«
    Frau Salome verfolgte Leas schwiegermütterliches Schwärmen mit gemischten Gefühlen, anfangs amüsiert über ihre naive Zukunftsvision, dann aber von Sekunde zu Sekunde immer stärker beunruhigt. Es konnte tatsächlich so sein, wie es sich die Alte in ihrer Begeisterung ausmalte. Möglicherweise bot sich ihrem Sohn eine Chance, wie sie nie wiederkehrte. Und damit der ganzen Familie. Frau Salome war nahe daran, gleichfalls in Entzücken auszubrechen, aber als kluge Frau beherrschte sie sich und bog auf ein anderes Thema ab.
    »Wissen Sie eigentlich schon das Neueste von heute, Frau Lea? Der Rabbi von Nazareth rief noch zwei junge Männer aus dem Dorf zu sich, Philipp und Natanael. Was sagen Sie dazu?«
    Frau Lea. sagte gar nichts, doch ihr Gehirn arbeitete rasch. Philipp war ein Leichtfuß, der stellte keine Konkurrenz für Simon dar. Aber Natanael, ein intelligenter Kopf und ein Streber dazu!
    Sie streifte die Nachbarin mit einem giftigen Blick. Warum mußte sie ihr die Freudensuppe mit einer solchen Nachricht versalzen!

Der Grübler und der Luftikus

    Philipp, der Sohn eines Fischweibes aus Betsaida, gehörte zu den glücklichen Naturen, die aus den Zufällen ihres Lebens den Willen Gottes herauslesen. Sein Name Philippos war griechisch; konnte es dann nicht auch seine Herkunft sein? Wenn ihm seine Mutter auch hundertmal versicherte, sein Vater sei ein einheimischer Taugenichts gewesen, er glaubte ihr nicht; seiner Meinung nach hatte sie sich geirrt, was in Anbetracht der Kürze des Beisammenseins, das zu seiner Entstehung geführt hatte, durchaus verständlich war. Seiner Meinung nach mußte man seinen Erzeuger unter den Griechen von Tiberias suchen.
    In Tiberias, der Metropole am See, wimmelte es vor allem während der Wintermonate von ausländischen Gästen, die in den Thermalquellen Heilung von ihren rheumatischen Schmerzen oder auch nur die angenehme Zerstreuung eines mondänen Kurortes suchten. Sie kamen von überall her, aus Rom, Sizilien, Griechenland, Kleinasien, Syrien. Daher herrschte in Tiberias ein freier Lebensstil — zu frei, lasterhaft und sündig nach der Ansicht der strenggläubigen Juden in den kleinen Städten und Dörfern rings um den See. Spöttische Zungen behaupteten, manche der weiblichen Kurgäste wechselten die Liebhaber öfter als diese ihre Unterwäsche. Man amüsierte sich ähnlich wie in den Riesenstädten des Reiches, Rom, Ephesus und Antiochien. Im Theater traten Faustkämpfer und Gladiatoren auf, Tanzgruppen aus Nubien, Possenreißer aus Ägypten, Rezitatoren aus Griechenland, Feuerschlucker aus Persien. Daß es auch dreizehn Synagogen gab, änderte wenig am miserablen Ruf der Stadt. Tiberias, diese heidnische Insel im jüdischen Meer, war für Philipp eine Insel der Sehnsucht und Träume.
    Als er zwölf Jahre alt war, konnte es seine Mutter nicht mehr verhindern, daß er sich halbe Tage, bald auch Nächte bei den Ausländern herumtrieb, ihre Sprache ablauschte und ihre Manieren nachäffte. Für einen flinken hübschen Burschen — und das war Philipp — fehlte es nicht an Chancen, sich nützlich zu machen;
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