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Sayuri

Sayuri

Titel: Sayuri
Autoren: Carina Bargmann
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Prolog
    D as ist das Ende«, stellte der Mann mit schwacher Stimme fest.
    Die Boten in ihren grauen Gewändern knieten schweigend vor ihm. Mit gesenkten Köpfen warteten sie auf seine Befehle. Aber er hatte keine mehr für sie. Es war vorbei, die Suche war vergeblich gewesen.
    Sein Blick glitt zum Fenster hinaus über die Gärten des Palastes bis zur Stadt, die ins Licht des grünen Mondes getaucht dalag. Es schien, als würde sie von sich aus leuchten.
    »Geht«, befahl er leise. In seinen Augen glänzten Tränen. Hastig entfernten die grauen Boten sich, zogen die Tür hinter sich lautlos zu und vergaßen ihren Auftrag. Im Garten nahmen sie ihre Posten als stumme Wächter wieder ein, verharrten in ihrer starren Haltung aus grauem Stein, bis sie wieder erweckt würden. Stumm blickte der Mann in die Leere des Raumes. Die hohen Marmorsäulen zu seiner Rechten und Linken säumten den Weg von der Tür bis vor seinen Schreibtisch und warfen Schatten, zwischen denen das Mondlicht den kühlen Boden in grünliches Licht hüllte. Seine Schritte klangen dumpf, als der Mann zwischen die hohen Säulen trat. Er war allein. War er das nicht sein ganzes Leben gewesen?
    »Jetzt ist alles vorbei«, murmelte er leise. »Wieso, ihr Götter?« Verzweifelt ballte er die Hände zu Fäusten, aber es gab nichts, gegen das sich sein Zorn richten konnte, niemanden, bis auf die riesige Katze, die bei seinen Worten lautlos neben ihn geglitten war. Ihre goldenen Augen glühten in der Finsternis, ihren Leib mit den neun zuckenden Schwänzen umspielten die Farben der Nacht.
    »Herr? Brachten die grauen Boten schlechte Kunde?«, erkundigte sich der Wiljar mit tiefer Stimme.
    Müde hob der Mann den Kopf und blickte in die schmalen Augen des Tiers. Das Katzengesicht strahlte Ruhe und Intelligenz aus.
    »Sie brachten gar keine Kunde!«, entgegnete der Mann. »Dieser Ort, von dem du sprachst, er existiert nicht.« Bitterkeit ließ seine Stimme rau klingen. »Das oder deine Wächter sind nicht so mächtig, wie du vermutest.«
    Die Katze lächelte leise. »Ihr Menschen glaubt, eine Quelle müsse immer an einem Ort liegen. Ihr zeichnet Karten, ohne den Wandel der Zeit zu berechnen.« Ihr tiefschwarzer Leib wurde eins mit den schimmernden Steinen aus den Gruben von Tinador, die den Boden der Halle bedeckten. »Wenn die Quelle nicht gefunden werden will, so müssen wir sie ruhen lassen.«
    Der Mann machte einen zornigen Schritt auf die Katze zu. »Aber das kann doch nicht das Ende sein! Das ist nicht alles!«
    »Es gibt immer einen anderen Weg.« Der Wiljar lächelte besänftigend. »Ihr habt nun alles versucht, den friedlichen Weg gewählt. Doch wenn Ihr länger zögert …«
    »Nein!« Die Stimme des Mannes wurde von den steinernen Wänden zurückgeworfen. »Nein«, widerholte er etwas ruhiger. »Das darf niemals passieren.«
    »So hört, was ich Euch vorschlage, und bedenkt, es ist Euer letzter Weg«, schnurrte der Wiljar sanft. »Andernfalls ist alles verloren und Euer Bruder wird die Stadt mit sich in den Tod reißen.«
    »Ich höre«, flüsterte der Mann. Im fahlen Mondlicht erschien seine Haut kränklich grün.
    Der Wiljar hob die Stimme leicht und unterbreitete dem Herrscher seinen grausamen Plan.
    Der Mann schüttelte stumm den Kopf, wohl wissend, dass er zustimmen würde. »Mein Bruder darf nicht sterben«, flüsterte er leise. »Niemals.«
    »Dann tut, was ich Euch rate«, bat der Wiljar.
    Der Mann trat aus dem Schatten der Säule hinüber zu den Fensteröffnungen im Mauerwerk, die bis tief auf den Boden reichten und den Blick hinunter auf die Stadt freigaben. Still und wartend lag sie da und selbst in dem mächtigen Wasserlauf, der ihr den Namen gab, schien das Flüstern verstummt zu sein.
    Der Wiljar gab ein leises Fauchen von sich. »Ihr müsst Euch entscheiden«, verlangte er. »Es ist Zeit.«
    Der Mann drehte sich langsam um. Und dann sprach er die Worte, die gesprochen werden mussten.

 
    Teil 1

1. Kapitel
    D ie Angst kroch ihr in den Nacken, als der Soldat vor ihr in der Bewegung innehielt. Zitternd drückte sich Marje tiefer in die Nische, zog die Füße eng an und hielt die Hände fest um Shio geschlossen.
    Sie konnte den Zinadenwächter nicht sehen, nur seine Schritte hören, die schwer durch die Gänge hallten, die vom Fackelschein erhellt wurden. Jeden Moment konnte er an der Treppe stehen bleiben und sie in der Fensternische entdecken.
    Marje spürte in ihrem Rücken die scharfkantigen Scherben, die noch im Rahmen steckten. Die
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