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Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Titel: Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)
Autoren: Daniil Charms
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Sache
    Mutter, Vater und die Hausangestellte mit Namen Natascha saßen am Tisch und tranken.
    Vater war zweifellos ein Saufkopp. Selbst Mutter guckte von oben auf ihn herab. Doch das hinderte Vater nicht daran, ein sehr guter Mensch zu sein. Er lachte gutmütig und wippte mit dem Stuhl. Das Dienstmädchen Natascha, mit Häubchen und Schürze, kicherte die ganze Zeit fürchterlich. Vater brachte alle mit seinem Bart zum Lachen, aber das Dienstmädchen Natascha senkte verschämt den Blick, womit sie ihre Verlegenheit zum Ausdruck brachte.
    Mutter, eine große Frau mit voluminöser Frisur, sprach mit Pferdestimme. Mutters Stimme wieherte durchs Esszimmer, hallte im Hof und in den anderen Zimmern wider. Alle kippten ein erstes Gläschen, waren einen Moment lang still und aßen ein Stück Wurst. Nach einer Weile begannen sie alle wieder zu reden.
    Plötzlich klopfte jemand völlig überraschend an die Tür. Weder Vater, noch Mutter, noch das Dienstmädchen Natascha hatten eine Ahnung, wer da an die Tür geklopft hatte.
    »Wie merkwürdig«, sagte Vater, »wer da wohl an die Tür geklopft hat?«
    Mutter machte ein mitleidiges Gesicht, schenkte sich außer der Reihe ein zweites Glas ein, trank es aus und sagte: »Merkwürdig.«
    Vater sagte nichts Schlimmes, sondern schenkte sich auch ein Gläschen ein, trank es aus und stand vom Tisch auf. Vater war nicht sehr groß. Kein Vergleich zu Mutter. Mutter war eine große, korpulente Frau mit Pferdestimme, und Vater war bloß ihr Gatte. Obendrein war Vater sommersprossig.
    Mit einem Schritt stand er an der Tür und fragte:
    »Wer ist da?«
    »Ich«, sagte eine Stimme hinter der Tür. Gleich darauf öffnetesich die Tür und herein kam das Dienstmädchen Natascha, ganz verlegen und rosig. Wie eine Blume. Wie eine Blume.
    Vater setzte sich.
    Mutter trank noch einen.
    Das Dienstmädchen Natascha und das andere wie eine Blume erröteten vor Scham. Vater sah sie an und sagte nichts Schlimmes, sondern trank bloß noch einen, ebenso wie Mutter.
    Um das unangenehme Brennen im Mund zu mildern, öffnete Vater eine Konservendose mit Krebspaste. Alle waren sehr froh und aßen bis zum Morgen. Aber Mutter sagte nichts und saß auf ihrem Platz. Das war sehr unangenehm.
    Als Vater Anstalten machte, etwas zu singen, wurde ans Fenster geklopft. Mutter sprang vor Schreck auf und schrie, sie habe deutlich gesehen, wie jemand von der Straße durchs Fenster geschaut habe. Die anderen versicherten ihr, das sei unmöglich, da ja ihre Wohnung im zweiten Stock gelegen sei und niemand von der Straße durchs Fenster schauen könne, dafür müsse man schon ein Riese oder ein Goliath sein. Aber Mutter hatte sich drauf versteift. Nichts auf der Welt konnte sie davon überzeugen, dass niemand durchs Fenster geschaut hatte.
    Um Mutter zu beruhigen, schenkte man ihr noch ein Gläschen ein. Mutter trank es aus. Vater schenkte sich auch eins ein und trank es aus.
    Natascha und das Dienstmädchen wie eine Blume saßen da, den Blick vor Verlegenheit gesenkt.
    »Ich kann nicht gut aufgelegt sein, wenn man uns von der Straße durchs Fenster beobachtet«, schrie Mutter.
    Vater war verzweifelt, denn er hatte keine Ahnung, wie er Mutter beruhigen sollte. Er rannte sogar auf den Hof hinaus und versuchte von dort aus zumindest durch ein Fenster im ersten Stock zu schauen. Natürlich reichte er nicht bis dahin. Doch Mutter überzeugte das nicht im Geringsten. Dabei hatte sie gar nicht gesehen, wie Vater nicht mal bis ans Fenster im ersten Stock gereicht hatte.
    Vollkommen entnervt von alldem, kam Vater wie ein geöl ter Blitz ins Esszimmer gerast und kippte auf einen Satz zwei Gläser, nachdem er Mutter auch eins eingeschenkt hatte. Mutter trank ihr Glas aus, sagte aber, sie trinke nur, um ihre Überzeugung zu bekräftigen, dass da jemand durchs Fenster geschaut habe.
    Vater breitete nur resigniert die Arme aus.
    »Hier«, sagte er zu Mutter, ging zum Fenster und machte beide Flügel weit auf.
    Ein Mann mit schmutzigem Kragen und einem Messer in der Hand versuchte durchs Fenster hereinzuklettern. Als Vater ihn erblickte, schlug er das Fenster zu und sagte:
    »Da ist keiner.«
    Doch der Mann mit dem schmutzigen Kragen stand vorm Fenster und blickte ins Zimmer, dann öffnete er das Fenster sogar und kletterte herein.
    Mutter war schrecklich aufgeregt. Sie fing richtig an zu toben, aber nachdem sie das vom Vater angebotene Gläschen gekippt und dazu einen Pilz gegessen hatte, beruhigte sie sich wieder.
    Auch Vater hatte
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