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Zweyer, Jan - Rainer

Zweyer, Jan - Rainer

Titel: Zweyer, Jan - Rainer
Autoren: Georgs Geheimnis
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blickte verwundert von Elke zu Cengiz. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wovon die beiden sprachen.
    »Geht gleich los.« Cengiz drückte erneut eine Taste. Dann donnerte aus den Lautsprechern: »Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium, wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum. Deine Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt: Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt …«
    Sie hörten einige Minuten zu.
    Schließlich meinte Rainer: »Kenn ich. Kenn ich. Und das ist von Beethoven?«
    »Die Musik. Der Text ist von Schiller«, antwortete Cengiz.
    Er stand wieder auf und drehte die Musik leiser. »Beethoven hat diese Symphonie in D-Moll 1817 begonnen, hat aber schon einige Jahre früher an eine Vertonung der Ode an die Freude gedacht. Bei der Uraufführung 1824 in Wien war er schon vollständig taub. Er konnte noch nicht einmal mehr den Beifall des Publikums hören. Stellt euch das vor, der hat in seinen letzten Lebensjahren nur aus dem Gedächtnis komponiert, ohne auch nur einen Ton zu hören. Fast die ganze Neunte ist so entstanden. Könnte das Keith Richards auch?«, warf er Rainer hin.
    »Was weiß ich«, knurrte der und nahm demonstrativ gelangweilt einen großen Schluck Riesling. »Außerdem hört der auf einem Ohr auch schlecht. Stand wohl bei den Gigs zu nahe an den Boxen.«
    »Woher weißt du so viel über Beethoven?«, erkundigte sich Elke.
    »Das ist so: eine Eltern sind früh gestorben, ich bin…«
    »Das tut mir Leid.« Elke blickte Cengiz mitleidig an.
    Dieser Blick missfiel Rainer. Plötzlich hatte er eine Art Déjàvu-Erlebnis: Seine frühere Freundin Stefanie und Cengiz am Tag der Beerdigung von Stefanies Bruder. Der Anfang vom Ende seiner damaligen Beziehung. So weit würde er es dieses Mal nicht kommen lassen. »Kann ich mal das Mineralwasser…?«
    Cengiz und Elke registrierten erstaunt, dass Rainer nicht zum Riesling griff, sondern sich sein Glas mit Wasser füllte. »Was guckt ihr denn so? Wer viel säuft, verpasst das Wesentliche, oder?«
    »Um auf deine Frage zurückzukommen. Ich bin bei meinem Großvater in Duisburg aufgewachsen. Der gehörte zur ersten Generation der Arbeitsimmigranten. Er kam schon Anfang der 60er-Jahre nach Deutschland. Meine Eltern folgten ihm etwas später. Kurz nach meiner Geburt starben sie bei einem Unfall.
    Wir hatten einen Nachbarn, auch einen Bergmann wie mein Opa, der jedes klassische Konzert besuchte, das in Duisburg gegeben wurde. Von ihm habe ich einiges gelernt.«
    »Ach so.«
     
    »Genau«, schaltete sich Rainer in das Gespräch ein. »Jetzt haben wir genug von dem Lebenslauf eines vom Schicksal gezeichneten Deutschen anatolischer Abstammung mit ausgezeichneten Kenntnissen der klassischen Musik gehört, um uns wieder den ernsten Fragen des Daseins zuzuwenden: Wann gibt es was auf die Gabel?«
    »Rainer, du bist unmöglich«, schalt ihn Elke.
    »Nee, lass mal.« Cengiz stand auf. »Er hat ja Recht. Ich muss ohnehin nach dem Essen sehen.«
    Zehn Minuten später saßen sie in der Küche und genossen die
    ›Türkische Fuge‹, die sich als Auflauf entpuppte. Cengiz erklärte, dass das Gericht ideal zum Resteverwerten sei:
    »Zwiebeln, Speck und Fleisch oder auch Wurstreste und Knoblauch nach Belieben in Olivenöl anbraten, mit etwas Fleischbrühe aufgießen und einige klein geschnittene Tomaten dazugeben. Wenn diese verkocht sind, mit Creme fraiche binden. Dann nach Geschmack mit Kräutern würzen. Juvezi, die türkischen Nudeln, kochen und unter das Fleisch mischen.
    In eine Kasserolle füllen und mit reichlich geraspeltem Käse bedecken. Im Ofen so lange überbacken, bis sich eine knusprige Käseschicht gebildet hat. Fertig. Und dann dazu Gurkensalat. Oder irgendeinen anderen grünen Salat.«
    Rainer füllte sich gerade den Teller zum dritten Mal, als Cengiz unvermittelt sagte: »Ich werde demnächst auf dem Pütt aufhören.«
    Sein Freund verschluckte sich fast. »Warum das denn?«
    »Eiserner Kanzler wird dichtgemacht, das Unternehmen muss nach dem Kohlekompromiss Tausende Arbeitsplätze abbauen und ständig Kohlen schicken… Ich kann mir noch was anderes für mein weiteres Leben vorstellen.«
    »Kann ich verstehen. Was willst du denn machen?«, erkundigte sich Rainer kauend.
     
    »Eine Weiterqualifizierung als Computerfachmann. Wenn ich die Ausbildung abgeschlossen haben, mache ich einen Laden auf. Hard-und Softwareverkauf, Wartung, Reparatur und so.«
    »Computer?«
    »Das sind die kleinen, grauen
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