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Zweyer, Jan - Rainer

Zweyer, Jan - Rainer

Titel: Zweyer, Jan - Rainer
Autoren: Georgs Geheimnis
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Gelegenheitsspieler war der Einsatz zu hoch. Die Touristen bevorzugten Tische mit einem Mindesteinsatz von fünf Mark.
    Der Spieler blickte auf die Permanenz – die bisher gefallenen Zahlen waren nicht seine, das erhöhte hoffentlich seine Chancen. Aufmerksam beobachtete er den Croupier. Der war jung, höchstens Mitte zwanzig. Zu jung, fand er. Der Mann entschloss sich, sein letztes Geld auf diesem Tableau zu riskieren, aber erst, nachdem der Croupier ausgewechselt worden war.
    Zwei Spiele später war es so weit.
    »Die Hand wechselt«, verkündete der Tischchef. Ein älterer Angestellter trat an den Kessel. »Bitte das Spiel zu machen.«
    Der Spieler atmete tief ein. Er stelle sein Glas ab, trat nach vorne, warf die zwei Tausenderstücke auf das Tableau und machte seine Annonce. Der Croupier hatte ihn nicht verstanden und fragte nach.
    »Die Zwölf. Alles auf die Zwölf.« Jetzt war es geschehen. Er hat doch wieder auf diese Zahl gesetzt.
    Leise kratzend schob das Rateau die Chips auf die Zwölf. Der Spieler spürte, wie seine Hände feucht wurden. Die magische Zwölf. Diesmal aber… ganz sicher… Zwölf. Er fixierte starr die Jetons auf dem Tableau.
    Der Croupier drehte den Kessel, warf die Kugel. »Nichts geht mehr.«
    Wieder der schreckliche, zermürbende, herrliche Tanz, der seinen Adrenalinspiegel nach oben trieb. Komm, komm schon.
    Gedanklich beschwor er die Kugel, trieb sie weiter: Zwölf.
    Komm schon, zwölf. Nur ein Mal. Zwölf. Das letzte Taumeln, ein erneutes Aufbäumen und dann… Er konnte nicht mehr hinsehen, schloss die Augen.
    »Zwölf. Rot«, verkündete der Croupier.
    Das Herz des Spielers machte einen Sprung. Seine Zahl! Sie war gefallen! Zwölf, rot!
     
    Der Croupier schob mit dem Rateau zweiundsiebzig Jetons herüber. Der Spieler hatte den Verlust mehr als nur ausgeglichen. Er hatte gewonnen. Er hatte…
    »Paroli!«, hörte er sich mit heiserer Stimme sagen.
    Der Croupier unterbrach seine Bewegung und blickte fragend zum Tischchef, der erst den Spieler musterte und dann fast unmerklich nickte. Die zweiundsiebzigtausend Mark wanderten wieder zurück auf das Tableau, wurden auf der Zwölf platziert. Durch die Umstehenden ging ein Raunen, das weitere Spieler anlockte. Einige warfen hastig ihre Annoncen auf den Tisch, versuchten an der vermeintlichen Glückssträhne des Spielers zu partizipieren. Andere warfen ihm bewundernde, fast ehrfürchtige Blicke zu.
    Er hörte die Ansagen des Croupiers nicht mehr. Er ignorierte die anderen Gäste, die ihn aufmerksam musterten. Sein Blick galt der Kugel, die wie in Zeitlupe in den Kessel geworfen wurde. Ihr Lauf hypnotisierte ihn. Die Zwölf! Sein Herz schlug bis zum Hals. Wenn die Zwölf jetzt noch einmal käme, dann wäre er seine Probleme los, dann könnte er…
    Die Kugel fand ihr Fach. Die Stimme des Croupiers drang nur langsam zu ihm durch. Seine Knie wurden weich.
    »Siebenundzwanzig. Rot.«
    Nichts ging mehr.
     
    2
    Hätte Rainer Esch geahnt, was sich in den nächsten Wochen ereignen würde – er wäre an diesem Montagmorgen im Bett geblieben.
    So aber saß er in seiner Anwaltskanzlei in der Castroper Straße in Herne, starrte die Wand an und wartete auf Mandanten. Zwar lief sein Laden etwas besser als vor einem Jahr, Reichtümer warf er jedoch nach wie vor nicht ab. Auch zu einer Sekretärin hatte es immer noch nicht gereicht, so dass sich Rainer notgedrungen selbst mit dem
    Textverarbeitungsprogramm seines Computers abplagen musste.
    Der 40-Jährige steckte sich eine Reval an, blätterte im Spiegel und überflog einen Artikel über den jüngsten Streit in der Regierungskoalition, da schellte es an seiner Praxistür.
    Rainer drückte hastig seine Kippe aus, verteilte, mit der Zeitschrift wedelnd, den Rauch im Zimmer und spurtete zum Eingang. Der Anwalt setzte sein Was-bin-ich-heute-wiederbeschäftigt-Gesicht auf und öffnete. Vor der Tür stand ein etwa 60-jähriger Mann in einem verbeulten Trench und mit einer Prinz-Heinrich-Mütze auf dem Kopf. Darunter waren graue Haare zu erkennen.
    »Guten Tag«, begrüßte Rainer seinen Besucher.
    »Ich möchte zu Rechtsanwalt Esch. Ich habe da ein kleines Problem…«, antwortete dieser.
    Der Anwalt ließ den Mann eintreten. »Wenn ich vorgehen darf…?« Der potenzielle Mandant folgte ihm. Rainer bot ihm einen Stuhl vor seinem Schreibtisch an. »Möchten Sie einen Kaffee?«
     
    »Nein, vielen Dank.«
    »Eine Zigarette?« Esch hielt ihm die Schachtel hin.
    »Nein, ich rauche nicht. Das hab ich mir vor
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