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Zwei Sonnen am Himmel

Titel: Zwei Sonnen am Himmel
Autoren: Federica de Cesco
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Leichtfüßig erklomm sie die Felsen. Das Gestein bestand aus abgeschliffenem Granit, vom Wind poliert. Es hatte die Farbe von gebranntem Ton: Ocker, fahles Rot, warmes Braun. Eine Felsrippe lag quer über dem Abhang. Isa schwang sich hinauf und blieb auf dem Grat stehen. Sie glich einem spähenden Vogel, der in fast schwereloser Anmut am Rand der Klippen schwebte.
    Plötzlich sah Usir sie schwanken. Er fürchtete, sie würde von Schwindel erfasst in die Tiefe stürzen, und lief davon, so schnell ihn seine wunden Füße tragen konnten. Kaum spürte er den brennenden Boden unter sich. Nach Atem ringend kletterte er über die Felsen, zog sich an den Gesteinsblöcken hoch, arbeitete sich weiter durch spitzkantiges Geröll. Endlich erreichte er das Mädchen. Der Wind zauste in ihren Haaren. Sie stand wie gebannt und schien ihn nicht zu bemerken. Erst als er sie beim Namen rief, wandte sie leicht den Kopf und da sah er, dass sie lächelte. Wortlos streckte sie den Arm aus. Usir drang bis dahin vor, wo eine schmale Plattform über der Tiefe hing, und schaute hinunter. Vor ihm breitete sich eine Ebene aus, deren Farbe ins Rötliche spielte, als wäre sie mit grobkörniger Asche bestreut. Doch am fernen Horizont, dort, wo Himmel und Erde im Dunst der Luftspiegelungen verschmolzen, zog sich wie ein leuchtendes Band ein Streifen grüner, fruchtbarer Erde hin. Sie hatten die Wüste hinter sich.

24
    Sie wagten kaum zu denken: Wir sind gerettet! Wie oft waren ihre Hoffnungen schon enttäuscht worden! Aber alle empfanden die Hitze, den Durst, ihre Leiden weniger schmerzvoll. Jeder Schritt brachte sie dem Wasser, den Pflanzen, dem Leben näher.
    Der Himmel färbte sich gold- und kupferrot. Dann brach die Nacht herein, voll milder Klarheit und mit funkelnden Sternen. Bei Sonnenaufgang wanderten sie weiter und ließen die letzten Sanddünen hinter sich. Es dauerte nicht lange, da erreichten sie eine Gegend, die mit Schilf und Gräsern bewachsen war. Es war ein Sumpfgebiet, von unterirdischen Quellen gespeist. Noch weiter östlich rieselten Bäche über den rötlichen Lehmboden. Sie flossen einem breiten Strom entgegen, der sich durch die Ebene schlängelte. Die Wanderer konnten sein Bett bis in weite Ferne verfolgen. An seinen Ufern wiegten sich buschige Palmen im Wind, wuchsen Mandelund Aprikosenbäume, üppige Hibiskussträucher mit roten und lilafarbenen, seiden glänzenden Blüten und zahlreiche andere Pflanzen.
    Wie in der Heimat, dachte Usir ergriffen. Es war aber nicht Atlantis. Es war ein fremdes Land. Und doch kam ihm alles sonderbar vertraut vor …
    Er spürte seines Vaters Hand auf der Schulter. Atos Augen waren entzündet, seine Lippen spröde und rissig. Doch sein Antlitz drückte Frieden und Glück aus. »Ich höre die Stimme Ataras in meinem Herzen«, sagte er. »Sie ruft meinen Namen und heißt mich willkommen …«
    Torr stand neben ihnen. Sein Gesicht, von der Sonne verbrannt, wirkte fast schwarz. Sein gelockter Bart bedeckte die Brust wie ein dichtes, vom Sand verkrustetes Fell. »Mir ist«, sagte er leise, »als wäre ich schon einmal hier gewesen … vor langer Zeit oder in einem früheren Leben.«
    Sie merkten bald, dass alle Atlantiden so empfanden. Sie alle erfüllte ein Glücksgefühl, das weit über jede Heiterkeit hinausreichte.
    Alles hier war klar, friedlich, schön. Das schimmernde Licht freundlich für das Auge der Menschen. Als es Abend wurde, lagerten sie am Flussufer. Sie badeten in den kühlen, klaren Fluten und reinigten ihre Kleidung. Die Dunkelheit war voller Sanftheit. Sanft strahlten die Sterne. Sanft fühlte sich das Gras unter den Füßen an. Sanft waren die glänzenden Wasserflächen, in denen sich Schilf spiegelte. Nichts war zu hören außer dem Ruf eines Vogels, dem Quaken von Fröschen, dem Plätschern eines Fisches. In den wohlriechenden Düften voller Feuchtigkeit und der lauen Wärme der Luft offenbarte sich die tröstende Gegenwart des mächtigen Stromes.
    Die Sternbilder wanderten über den Himmel. Usir und Isa lagen wach und hielten sich umschlungen. Sie sprachen nicht. Die Glückseligkeit, die sie erfüllte, war tiefer als das Meer, höher als der Himmel und sanft und stürmisch wie der Wind …
    Die Nacht ging vorbei wie im Traum. Der erste Schimmer des Tages breitete sich über den Horizont, als sie vom
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