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Das hätt' ich vorher wissen müssen

Das hätt' ich vorher wissen müssen

Titel: Das hätt' ich vorher wissen müssen
Autoren: Evelyn Sanders
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»Kennen Sie Rom?«
    »Natürlich kenne ich Rom! Ich hab ›Ben Hur‹ gesehen, ›Cäsar und Kleopatra‹ und nicht zu vergessen Fellinis ›Dolce Vita‹!«
    Das mokante Grinsen von Frau Marquardt konnte ich durch den Telefonhörer förmlich sehen. »Ich meine doch nicht den Striptease von Anita Ekberg, sondern das richtige, echte Rom.«
    Da mußte ich allerdings passen. Irgendwie hatte sich nie die Möglichkeit dazu ergeben, was wohl hauptsächlich daran gelegen hatte, daß sich unser fünffacher Nachwuchs immer mehr für das italienische Strandleben interessiert hatte als für die italienische Kultur. Dabei hatten wir alle denkbaren Tricks angewandt, um diesen kleinen Banausen den nötigen Respekt vor antiken Baudenkmälern einzutrichtern. Wir hatten Puzzles mit Abbildungen venezianischer Palazzi und den Skulpturen Michelangelos gekauft, aber an Ort und Stelle hatte Sven lediglich den fehlenden Pizzabäcker reklamiert, der auf seinem Bild direkt neben der Markuskirche gestanden hatte. Auch die andere Methode, 2 Kirchen = 1 Eis, hatte nicht viel genützt. Nach der dritten Eistüte war es Sascha schlecht geworden und sein ohnehin sehr lauwarmes Interesse für »diese alten Gemäuer« auf den Nullpunkt gesunken. Er wollte zurück zum Strand.
    Auf der Heimreise von einer dieser maritimen Grillstätten hatte ich wenigstens einen Blick auf den Mailänder Dom werfen können, aber nur von außen. Das Benzin war alle gewesen, und Rolf hatte wohl Angst gehabt, die letzten paar Tropfen würden bei einem längeren Aufenthalt in der Mittagshitze verdunsten und nicht mehr bis zur nächsten Tankstelle reichen. So hatte ich bloß ein paar Fotos geknipst, auf denen man später viel Vorplatz mit Tauben sehen konnte und wenig Dom.
    Meine Kenntnisse italienischer Kulturdenkmäler bewegten sich also auf einem äußerst niedrigen Niveau und konnten sich durchaus mit dem nicht viel umfangreicheren Wissen meiner beiden jüngsten Töchter messen. Sie sollen in einem Jahr Abitur machen, halten aber noch heute den Tiber für einen römischen Kaiser und das Kapitol für den Sitz der amerikanischen Regierung. Irgendwie muß das mit der Schulreform zusammenhängen. Im Erdkundeunterricht lernen sie, wie man Eskimos in das Gemeinschaftsleben ceylonesischer Teepflücker integrieren könnte, aber Lappland suchen sie dann irgendwo in der Gegend von Kanada.
    Ich erinnere mich noch an den Rückflug von Teneriffa, wo wir zwei Wochen Urlaub verbracht hatten. Der Pilot verkündete über Bordlautsprecher, daß wir rechts unten die Straße von Gibraltar sehen könnten. Meine damals dreizehnjährige Tochter Katja hängte sich auch sofort ans Fenster, starrte minutenlang auf die spanische Küste, um dann befriedigt festzustellen: »Jetzt habe ich sie gefunden! Aber unsere Autobahnen sind viel breiter.«
    Doch wen wundert es, wenn die heutige Generation Nagasaki mit Nairobi verwechselt? Man braucht doch nur einmal einen Schulatlas aufzuschlagen. Da findet man seitenweise Diagramme der exogenen und der endogen Kräfte, was immer das auch sein mag, dann Bildtafeln, die die Tektonik veranschaulichen sollen, unter der ich mir im übrigen auch nichts vorstellen kann, gefolgt von meteorologischen Karten – fällt unter die Rubrik Klimatologie –, danach kommen Tiergeographie, ein paar Seiten Staatenbündnisse und Beistandspakte, nicht zu vergessen die internationalen Luftverkehrswege… und hintendran hängen tatsächlich noch einige Landkarten, auf denen wenigstens die größeren Städte eingezeichnet sind.
    Zu meiner Schulzeit haben wir noch die genaue Kilometerlänge von Nil und Amazonas wissen müssen, und wer die Hauptstädte Südamerikas nicht in einem Atemzug herunterbeten konnte, bekam von vornherein eine Vier. Solchermaßen geschult, wußte ich also, daß Rom sowohl geographisch als auch geschichtlich interessant ist. Nur gesehen hatte ich es noch nicht.
    »Dann kommen Sie doch mit!« sagte Frau Marquardt. »Fünf Tage einschließlich Flug und Halbpension zu einem äußerst günstigen Preis.«
    Frau Marquardt ist zehn Jahre jünger als ich, zehnmal so couragiert und mindestens doppelt so unternehmungslustig. Wohl deshalb hatte sie auch ihren eigentlichen Beruf an den Nagel gehängt und sich aufs Reiseleiten verlegt. Nur war sie bisher meist mit einem Troß mittelalterlicher Damen und Herren nach Wien gefahren und hatte dort das übliche Programm abgespult: Donaudampfer und Heurigenseligkeit, morgens Fiakerrundfahrt und abends im Theater »Land des
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