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Zwei Sommer

Zwei Sommer

Titel: Zwei Sommer
Autoren: Britta Keil
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Korb, streicht ihr Kleid glatt (Ihr Dekolleté hätte es nötiger! Marie, du bist eine fiese Kuh!) und verlässt das Abteil. Ich sehe sie auf dem Bahnsteig allein gen Ausgang eilen. Ein Stich in meiner Brust erinnert mich daran, dass Oliver mich heute nicht vom Bahnsteig abholen wird. Heute nicht und nie wieder. Schneller als ich dagegen ankämpfen kann, dreht sich dieses verdammte Gedankenkarussell von Neuem in meinem Kopf.
    Ich frage mich, wann es angefangen hat aufzuhören. Wann Oliver beschlossen hat, mich loszuwerden. Und wann das mit Isa begonnen hat. Sie müssen sich doch heimlich getroffen haben! Aber wann? Und wie haben die zwei es geschafft, es vor mir zu verbergen? Ein schlimmer Verdacht beschleicht mich. Budapest. Vorletztes Wochenende war ich mit meinem Chor in Budapest. Vielleicht war das so eine Gelegenheit.
    Ich kriege Gänsehaut, als ich mir vorstelle, dass Oliver womöglich, kurz bevor er mich Sonntagabend vom Bus abholte, noch mit Isa zusammen war. Im Nachhinein überlege ich, ob mir etwas an ihm hätte auffallen müssen. Er wirkte irgendwie erledigt und war ziemlich wortkarg, aber das war er eigentlich meistens, wenn er am Wochenende Spätschicht hatte und bis tief in die Nacht hinein Burger verkaufte. Seltsam war nur, dass er das ganze Wochenende sein Handy ausgeschaltet hatte. Ich wollte ihn Samstagabend in seiner Pause anrufen und ihm von unserem phänomenalen Konzert erzählen. Oliver berichtete mir anschließend, er hätte sein Ladegerät verloren und seinen Akku nicht aufladen können, der just am Tag meiner Abreise den Geist aufgegeben hatte. Ich habe ihm geglaubt. Aber wahrscheinlich hätte ich ihm auch geglaubt, wenn er mir erzählt hätte, dass er sein Handy einem wohltätigen Verein zur Lebensraumerhaltung des Schabrackentapirs gespendet hat.
    Es mag die eigene Intelligenz beleidigen, aber wenn es einem das Leben rettet, glaubt man so ziemlich jeden Blödsinn.
    Es widert mich an, dass Oliver nicht mal Skrupel hatte, sich an diesem Sonntag noch einmal in mein Bett zu legen.
    Ob jemand außer den beiden davon wusste? Ich kann den Gedanken kaum ertragen, dass es Leute gibt, die mich insgeheim schon seit Wochen bedauern.
    Mein Magen teilt mir mit einem gut hörbaren Seufzer mit, dass ich heute noch nichts gegessen habe. Und gestern auch nicht. Ich weiß jetzt, was das heißt: Der Appetit ist mir vergangen. Kommt der wieder? Keine Ahnung. Im Augenblick könnte ich mir vorstellen, nie wieder zu essen. Oder so lange nichts zu essen, bis mich einer so liebt, wie ich ihn liebe. Und bis dahin trete ich in Hungerstreik. Jawohl.
    »Du bist doch noch so jung.« – »Du hast dein Leben noch vor dir.« – »Sieh’s als Chance (mein Favorit!).« Nett gemeintes Blabla. Und wie Pauline immer zu sagen pflegt: »Nett ist der kleine Bruder von Scheiße!«
    Die Leute wissen einfach nicht, was sie sagen sollen. Und ich kann es ihnen nicht einmal verübeln, denn mir fehlen selbst die Worte. Aber erstens habe ich nicht um diese Chance gebeten, zweitens habe ich im Augenblick das Gefühl, dass der schönste Teil meines Lebens bereits hinter mir liegt, und drittens fühle ich mich gerade steinalt.
    Ich glaube nämlich nicht, dass man immer in derselben Geschwindigkeit altert. Das kommt doch darauf an, was einem zustößt. Und ich glaube, dass man in einer Sekunde mehr altern kann als in einem Jahr. Zum Beispiel in der Sekunde, als ich diese SMS gelesen habe. Ich befürchte, in dieser Sekunde habe ich mehr Falten gekriegt als in einem ganzen Schuljahr. Ich beobachte mich seit jenem Tag der Offenbarung immerzu im Spiegel und ich finde, ich sehe anders aus als vorher. Irgendwas fehlt in meinem Gesicht und etwas Neues, mir Fremdes, ist dazugekommen. Ich kann aber weder das eine noch das andere beim Namen nennen.
    Das ist ja sowieso das Bescheuertste am Liebeskummer: dass du überhaupt nicht mehr weißt, wo dir der Kopf steht und was dieser Klumpen namens Herz da in deiner Brust zu suchen hat. Liebeskummer ist mehr so ein emotionaler, geistiger Totalschaden.
    Ich kotze mich selbst an, weil ich schon wieder an Oliver denke. Oliver hat keinen einzigen meiner Gedanken mehr verdient. Nicht, nachdem er mit meiner besten Freundin rumgemacht hat. So was wunschdenke ich aber bloß. Fühlen tue ich natürlich etwas ganz anderes. Ich finde, Kopf und Herz könnten in Zeiten wie diesen echt zusammenhalten. Aber mein Kopf brüllt dies – mein Herz brüllt das. Und ich muss mich entscheiden, wem ich zuhöre. Mein Kopf sagt:
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