Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwei Sommer

Zwei Sommer

Titel: Zwei Sommer
Autoren: Britta Keil
Vom Netzwerk:
Leuchte doch! Nichts passiert. Ich ertrage das Stechen in meiner Brust nicht länger und die Stille des Telefons und wähle Olivers Nummer.
    Mailbox.
    Das kann doch nicht wahr sein! Er kann doch jetzt sein Telefon nicht ausschalten! Ich probiere es auf dem Festnetz. »Rothmaler?«
    Oh nein. Das ist Olivers Mutter. Jetzt bloß nicht durchdrehen.
    »Hallo, hier ist Marie. Kann ich bitte mal Oliver sprechen?«
    »Hallo, Marie! Du, Oliver ist nicht da. Soll ich ihm was ausrichten?«
    Ja! Dass ich im Sterben liege vor Kummer und keinen klaren Gedanken mehr fassen kann!
    »Nein, nein. Ist nicht so wichtig. Ich probier’s einfach auf seinem Handy. Danke. Tschüss.«
    Scheiße. Scheiße. Scheiße. Wo ist der denn? Ist er unterwegs zu mir? Oh ja, bitte, bitte, lass ihn unterwegs sein zu mir.
    Mein Bauch sagt mir, dass das nicht stimmt. Eine andere dumpfe Gewissheit steigt stattdessen aus der Magengegend hinauf in meinen Kopf und belagert meinen Verstand: Er trifft sich mit Isabella.
    Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen.
    Ich krame in meinem Kopf nach Informationen, die mich retten können, doch mein Kopf ist das reinste Gruselkabinett.
    Oliver. Vor drei Tagen lag er in diesem Bett. Vor drei Tagen hat er in dieses Kissen geflüstert, dass er mich liebt. Vor drei Tagen lag ich auf diesem Kissen und habe geglaubt, dass mich einer liebt. Vor drei Tagen! Ich weiß nicht wieso, aber dieses Kissen macht mich plötzlich zornig. In diesem Kissen steckt die Lüge. Der Verrat. Kleben sein Duft und seine Spucke. Klebt meine Liebe. Ich angle mir die Schere vom Schreibtisch, ich gehe zu meinem Bett und ersteche das Kissen. Das Verräterkissen. Ich zerschneide den Bezug und die Federn quellen hervor. Tränen schießen mir in die Augen. Ich schmeiße die Schere in die andere Ecke des Zimmers und vergrabe meine Finger in den weichen, weißen Federn. Ich heule und durchwühle das Innenleben des Kissens. Ich heule und schleudere die Federn heraus, werfe sie in die Luft und lasse mich beschneien. Mein Winter. Mein Sommer.
    Musik. Ich brauche Musik!
    Es macht mich noch viel zorniger, als ich feststellen muss, dass ich drei Viertel meiner CDs nicht mehr hören kann, weil sie mich an Oliver erinnern. Arschloch! Erst klaut er mir mein Herz und dann meine Musik. Aus der hintersten Ecke meines CD-Regals krame ich schließlich Robbie Williams hervor. Den konnte Oliver nie leiden. »Pop-Schmatze«, hat er immer dazu gesagt und ich habe es ziemlich schnell aufgegeben, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Aber es war ja auch viel schöner, Musik zu hören, die wir beide mochten. Damit ist jetzt Schluss. POP-SCHMATZE, ich komme! Ich LIEBE Pop-Schmatze!!!
    Ich drehe die Musik voll auf, fische Federbatzen um Federbatzen aus dem miesen Verräterkissenbauch und tanze. Tanze und heule, heule und tanze.
    Zwei Stunden später sitze ich, Marie, die Kissenmörderin, auf dem Parkettfußboden und heule immer noch. Nur leider ohne Wut. Eine Armee Fotos liegt vor meinen Füßen ausgebreitet, von der Wand gerissen, zerrissen, ein Schlachtfeld der Erinnerungen. Gleichgültig glotzen sie mich an. Die halben Gesichter verziehen keine Miene mehr. Halbe Olivers, halbe Maries, halbe Olivers und Maries. Gevierteilte Isas und gefünfteilte Olivers. Doch der Schmerz bleibt heil.
    Wie oft haben wir zusammen auf diesem Bett gelegen? Auf diesem Bett, das eigentlich viel zu schmal war für uns beide? Neunzig Zentimeter maß mein Paradies. Das Paradies unter einer Dachschräge, mit freiem Blick auf den Himmel. Wie oft habe ich neben Oliver wach gelegen und mich gefreut, wenn der Mond direkt ins Fenster schien und mich um den Schlaf brachte, weil ich dann immer Oliver dabei beobachten konnte, wie er schläft.
    Scheißbett. Scheißmond. Den konnte ich sowieso noch nie leiden. Der Mond ist so ein richtiger Solo-Planet. So ziemlich jeder zieht sich den Mond rein, wenn er einsam ist. Den Pärchen gehört der Sonnenuntergang, den Singles der Mond. So ist das nun mal. Ich muss mein Bett umstellen.
    Ich muss meine Wände streichen! Sie sind rosa. Man hat keinen Schiss vor Kitsch, solange man das Leben auf seiner Seite hat.
    Ich muss umräumen, denn das ist nicht mehr mein Zimmer. Dieses Zimmer gehörte Marie, der Freundin von Oliver. Aber diese Marie wohnt hier nicht mehr.
    Aber zuallererst muss ich diese vier Wände verlassen. In diesem Zimmer zu hocken, in diesem Museum meines Lebens, ist eine einzige Qual. Und ich kann ja auch schlecht meine gesamte Einrichtung zertrümmern, nur weil
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher