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Zwei Sommer

Zwei Sommer

Titel: Zwei Sommer
Autoren: Britta Keil
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Schicksal betraf, haben meine Eltern meinen Bruder natürlich eiskalt angelogen. Aber als Lenny mich gerade mal wieder durch seine bloße Anwesenheit in den Wahnsinn trieb, habe ich ihm von der Sache mit den Schlangen erzählt. Danach hat Lenny ungefähr eine Stunde geheult und so ziemlich genau einen Tag nicht mit mir geredet.
    »Das heißt De-pres-sion und Meerschweinchen kriegen keine Depression.« Danke, Mama.
    Seit Lenny von der Zoogeschichte weiß, steht Stefan unter Naturschutz. Jedes ungewöhnliche Grunzen bauscht mein Bruder zu einer schweren Krankheit auf und ich glaube, kein Meerschweinchen war innerhalb eines Jahres so oft beim Tierarzt wie Stefan. Woher Lenny das mit der Depässion schon wieder hat, wissen die Götter.
    »Ich fahr nicht mit nach Spanien«, werfe ich in die Runde.
    »Was ist das denn jetzt für ein Quatsch? Natürlich fährst du.«
    »Natürlich fährst du«, steigt Lenny ein, dessen Zeigefinger gerade in einer dicken Scheibe Brot nach verborgenen Schätzen pult.
    »Leonard, hör auf, mit dem Essen zu spielen.«
    »Oliver fährt mit Isa nach Spanien«, sage ich mit gespielter Sachlichkeit.
    »Aber Oliver ist doch dein Freund«, bemerkt Lenny scharfsinnig wie immer.
    »Klappe, Lenny«, zische ich über den Tisch.
    »Sei nicht so gemein zu deinem Bruder, Marie. Leonard kann nichts für deine schlechte Laune.« Das ist wieder typisch mein Vater. Immer wenn die Kacke so richtig am Dampfen ist, lässt er den großen Diplomaten raushängen.
    »Und, kann ich vielleicht was dafür, dass mich hier alle verarschen? Wenn dir das den Appetit verdirbt – ich hab kein Problem damit, Papa. Ich find’s nämlich auch zum Kotzen.«
    Manchmal ist das die beste Methode, um Eltern zum Schweigen zu bringen: sie mit der gesamten Ladung unangenehmer Empfindungen zu konfrontieren.
    Es funktioniert. Das Thema Spanien ist vorerst vom Tisch.
    Als sich mein Vater vor den Fernseher verdrückt und Lenny zu seinem traumatisierten Pflegefall, nimmt mich meine Mutter zur Seite. Achtung, Achtung! Jetzt folgt ein Mutter-Tochter-Gespräch.
    »Marie, was ist denn passiert?« (Hab ich’s nicht gesagt?)
    »Nichts.«
    »Ach komm, ich seh dir doch an, dass dich was bedrückt.«
    »Nee, ist doch jetzt auch egal.«
    »Du warst so still am Tisch. Sonst quasselst du wie ein Wasserfall. Und nimm es mir nicht übel, aber du siehst wirklich furchtbar aus. Hast du dich mit Isa gestritten?«
    »Mama, lass mich einfach in Ruhe, ja?«
    »Marie!«
    Okay, sie hat es nicht anders gewollt. »Wenn du’s genau wissen willst: Ich fühl mich total scheiße.« Meine Stimme überschlägt sich, als sei eine kleine Bombe explodiert in meinem Hals. »Ich bin der einsamste Mensch der Welt. Keiner liebt mich. Reicht das fürs Erste? Kann ich jetzt endlich in mein Zimmer gehen?«
    »Na geh schon. Wir reden später.«
    Ach Mama. Warum kapiert sie nicht, dass es so fünf bis sieben Dinge gibt in meinem Leben, die ich ganz allein überleben muss? Immer will sie mich retten vor irgendwas.
    Aber heute werde ich mich nicht retten lassen. Von niemandem. Heute werde ich mich entsetzlich bedauern, mir so richtig leidtun und meiner Plüschgiraffe in den Pelz heulen. Weil mein Freund ein Arschloch ist. Weil meine beste Freundin mich verraten hat. Und weil das Leben eine alte Sau ist. Jawohl.

2
    »In Kürze erreichen wir Holthusen. Nächster Halt: Holthusen. Ausstieg in Fahrtrichtung links.«
    Ich sitze im Zug nach Rethwisch. Rethwisch hat ungefähr zweitausend Einwohner und genau einen Supermarkt. Rethwisch ist normalerweise der Albtraum eines jeden Menschen zwischen zwölf und zwanzig. Einziger Bonus: Von Rethwisch bis zur Ostsee sind es bloß hundert Schritte. Für mich bedeutet dieser Ort gerade die Rettung meiner Sommerferien. Als klar war, dass ich nicht nach Spanien fahren werde, habe ich herumtelefoniert wie eine Irre. Mit Franzi, meiner Brieffreundin aus Passau. Fehlanzeige. Franzi ist frisch verliebt in Anton und sie fahren zusammen nach Frankreich. Mit Pauline, meiner zweitbesten Freundin in der Grundschule. Sie wohnt jetzt bei ihrer großen Schwester in Berlin. Fotos nach zu urteilen hat sie inzwischen grüne Haare und ziemlich krass abgenommen. Ich glaube, es liegt daran, dass sie sich nur noch von pflanzlichen Produkten ernährt, weil sie gegen Tiertransporte ist und Hühner in Käfigen und so. Ich hab das auch mal versucht, denn ich mag Tiere, ehrlich. Trotzdem bin ich beim ersten Fleischklops sofort wieder schwach geworden. Wahrscheinlich, weil er
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