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Zwei Sommer

Zwei Sommer

Titel: Zwei Sommer
Autoren: Britta Keil
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heute noch ’ne neue Geschichte für dich raus?« Olli sah mich komisch an.
    »Weiß nicht, vielleicht.« Ich grinste verlegen. Dabei war ich mir schon ziemlich sicher, dass diese Party nicht spurlos an meinem Notizbuch vorübergehen würde.
    Die letzten Monate waren irgendwie darin aufbewahrt. In Form von Gesprächsfetzen – ich hatte sie immer hastig notiert auf Kassenbons, Kalenderblättern, Buchseiten – Spontanpoesie, Fotos, Gekritzel. Dieses Notizbuch war mein zweites Gehirn! Eines Tages würde ich ein Buch daraus machen. Zumindest war das der Plan.
    »Und wer bin ich?«, fragte Olli nach einer Weile und schaute mir tief in die Augen, als würde er auf diese Frage eine ernsthafte Antwort erwarten.
    »Was?«
    »Na, in deiner Geschichte. Wer bin ich in der Geschichte?«
    »Keine Ahnung. Wer würdest du denn gern sein?« Ich sah Olli an, verirrte mich für einen winzigen Moment in seinen braunen Augen und bekam plötzlich Panik vor mir selbst.
    Ich fand Olli ziemlich nett, nicht paulinenett, richtig nett, und ich hatte das Gefühl, ihn total zu überrumpeln. Ich hätte ihn genauso gut fragen können: Was denkst du? Wer bist du? Was fühlst du? Irgendeine von diesen Jungs-abtörn-Fragen.
    »Ich wär gern Oliver.«
    Zack. Peng. Oliver.
    Ein Kribbeln sauste mir durch den Körper und ein Lächeln machte sich über meine Mundwinkel her.
    »Ey, Olli, ich verdurste!«, rief da der Typ ohne Namen. Oliver griff nach der Plastikflasche zwischen seinen Beinen und reichte sie weiter.
    »Was trinkt ihr da?«, fragte ich.
    »Wodka Lemon. Auch ’n Schluck?«
    »Nee, lieber nicht, sonst wird das nichts mehr mit der Geschichte.«
    »Das wär doof.«
    »Mmh, doof, ja.«
    Ich hielt mich an meiner Flasche fest und versuchte, meine rebellierenden Mundwinkel unter Kontrolle zu kriegen.
    » Strongbow ?«, fragte Oliver mit rauer Stimme und irgendwie verhedderten sich meine Blicke in seinen.
    Meine Augen wanderten seine Nase hinab und hielten inne auf seinen Lippen, die sanft und schön und vollkommen reglos auf eine Reaktion meiner Lippen zu warten schienen.
    Seine Aufmerksamkeit bescherte mir ein warmes Kribbeln in der Magengegend und mein Mund machte endgültig, was er wollte.
    Bis eben hatte ich mich wie eine Art Begleiterscheinung von Isa gefühlt und plötzlich fühlte ich mich wie eine kleine Prinzessin, die sich an eine leere Flasche Strongbow geklammert hatte.
    »Ja, gern«, strahlte ich Olli an, der sich schon erhoben hatte, um in die Küche zu gehen. Beim Aufstehen klimperte an den Schnürsenkeln seiner Turnschuhe ein winziges Glöckchen, das ich erst jetzt bemerkte. Und die Hose saß tief genug, dass ich seine grün-rot karierten Shorts sehen konnte.
    Und wer bin ich? Wer du bist, Oliver? Ich weiß es nicht. (Weißt du es denn?)
    Ich weiß, wer du in meiner Geschichte gewesen bist.
    Du bist der Zettel mit deiner Telefonnummer darauf, den du mir nach der Party zugesteckt hast.
    Du bist die Quittung aus dem Eiscafé, in dem du mich zum ersten Mal auf eine Eisschokolade eingeladen hast. Du hast dir zwei Portionen Spaghettieis mit heißen Himbeeren bestellt und konntest nicht glauben, dass es Menschen gibt, die Vanilleeis verachten.
    Du bist eine Kinokarte, Reihe F, Platz 12. Nach dem Film wolltest du Pirat werden.
    Du bist ein riesiges Einweckglas voller weißer steinharter Gummibärchen, die du aus Dutzenden von Tüten herausgesammelt hast, weil du wusstest, dass ich die weißen am liebsten mag.
    Du bist der Bierdeckel, auf dessen Rückseite du mit blauem Filzstift ein Herz gemalt und den du mir in deiner Lieblingskneipe in die Jackentasche geschoben hast.
    Du bist der Brief auf grün geblümtem Papier, in dem du schriebst, jede Sekunde ohne mich sei Zeitverschwendung.
    Aber dieser Oliver hat nichts mehr mit dir zu tun. Du hast mir erst mein Herz herausgerissen und es dann irgendwo liegen lassen. Vielleicht klemmt es gerade in einer Ritze von Isabellas Plüschsofa und wartet dort vergeblich auf Rettung, während ihr eng umschlugen daneben pennt.
    »In Kürze erreichen wir Bad Doberan. Nächster Halt: Bad Doberan.« Eine verknisterte Stimme reißt mich aus meinen Erinnerungen. Ich muss aussteigen! Bad Doberan ist die letzte Vortäuschung von Zivilisation in der Nähe von Rethwisch. Ich sehe auf die Uhr. Tatsächlich, ich bin gleich da.
    Tante Doro! Ich bin gar nicht auf sie vorbereitet. Auf Tante Doro muss man vorbereitet sein! Ich will auf gar keinen Fall aus dem Zug in ihre Arme kleckern wie ein Häufchen Elend. Ich will
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