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Zwei Sommer

Zwei Sommer

Titel: Zwei Sommer
Autoren: Britta Keil
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meine Sommerferien nicht schon wieder als Trauerkloß beginnen.
    Ich werde nie vergessen, wie ich vor zwei Jahren im Sommer bei ihr war. Es war das erste Mal, dass ich in den Ferien alleine irgendwohin gefahren bin. Ich hatte mich furchtbar mit Isabella gestritten. Sie war total verknallt gewesen in einen Typ aus ihrem Tanzkurs. Thomas. Dieser Name klingt in meinen Ohren bis heute wie eine Krankheit, von der ich dringend geheilt werden muss.
    Ich nannte ihn irgendwann nur noch Tangothomas und ich habe ihn gehasst, weil ich dachte, er hätte mir meine beste Freundin geklaut. Isabella schien in dieser Zeit vollkommen vergessen zu haben, dass ich existiere. Zumindest kam es mir so vor. Erst hatte sie mein Chorkonzert verschwitzt und dann meinen Geburtstag. Und das alles innerhalb einer Woche.
    Ich kam damals auf dem Bahnhof in Bad Doberan an, und nachdem ich Tante Doro entdeckt hatte, dauerte es nicht einmal eine Minute, bis ich anfing zu heulen. Tante Doro wusste nicht, worum es ging und wem diese Tränen galten. Sie drückte mich an ihre weiche warme Brust und sagte: »Na Marieke, ist das Leben gemein zu dir?«
    Tante Doro ist toll. Wenn ich mal so alt bin wie sie, will ich auch so sein wie sie. Oder fast so sein wie sie. Ich kenne eigentlich niemanden in ihrem Alter, den ich cool finde. Tante Doro ist dreiundvierzig und bis ich herausgefunden hatte, dass sie wirklich anders ist als die anderen in ihrem Alter, konnte ich mir nicht mal vorstellen, dreißig zu werden. (Ich weiß, dass mein Vater an seinem dreißigsten Geburtstag den totalen Blues geschoben hat. Er hat am Klavier gesessen und geweint und ich kann das gut verstehen. Aber er weiß nicht, dass ich das weiß.)
    Ich glaube, mit Tante Doro ist es anders, weil sie mich ernst nimmt. So richtig, meine ich. Ich habe bei Erwachsenen ganz oft das Gefühl, dass sie dir zwar zuhören und auch registrieren, was du sagst, aber dass sie dir im Grunde nichts glauben. Weil sie von den Dingen, die du sagst, jedes Mal zuerst dein Alter subtrahieren. Und schon haben die Dinge, die du sagst, für sie keine Bedeutung mehr.
    Tante Doro schafft es, dass ich mich ihr ebenbürtig fühle. Dass ich erst sechzehn bin, heißt für sie nicht, dass meine Sicht der Dinge unvollkommen ist oder beschränkt. Meine Sicht der Dinge ist bloß anders, aber für sie deswegen nicht weniger wahr.

3
    Der Zug wird langsamer und fährt mit quietschenden Bremsen in den Bahnhof ein. (Oliver hat mich immer ausgelacht, wenn ich mir am Bahnsteig die Ohren zugehalten habe.) Aus dem schmalen Türfenster kann ich sie schon sehen: meine Tante Doro. Der Zug hält und ich drücke den schweren Griff nach unten.
    Doro sieht aus wie immer. Schrill. Sie trägt weite grüne Stoffhosen, einen passenden grünen Pullover und orange Schuhe. Um ihren Hals baumelt eine riesige Kette und an ihren Ohren hängen ein Paar gigantische Filz-Klunker. Doro macht ihren Schmuck selbst und in voller Montur sieht sie immer ein bisschen aus wie eine Voodoo-Priesterin. Ihre krausen schwarzbraunen Haare stehen wie eh und je in alle Himmelsrichtungen ab und werden einzig von einem orangen Tuch in Zaum gehalten.
    »Marieke!«, ruft sie da auch schon quer über den Bahnsteig und kommt auf mich zugerannt. Das macht mir ein bisschen Angst, denn Tante Doro ist ziemlich dick. Doch dann schließt sie mich ganz sanft und fest in ihre Arme und wirbelt mich herum, sodass ich meine Reisetasche fallen lassen muss, um mich besser an Doro festhalten zu können.
    »Marieke, schön, dass du da bist!«, flüstert sie mir in den Nacken und drückt mich noch ein bisschen fester an sich.
    Doro riecht nach einem mörderisch süßen Parfüm, von dem ich fast ohnmächtig werde.
    »Hallo, Tante Doro«, sage ich atemlos, als ich wieder festen Boden unter den Füßen habe.
    Wir gehen zum Parkplatz, wo sie ihre alte Ente geparkt hat. Sie ist rot und an ihrer Kofferraumklappe prangt immer noch dieser bescheuerte Aufkleber in Form eines Warndreiecks: Anfängerin. Den hatte ihr mein Vater vor Ewigkeiten mal geschenkt, nachdem er als Doros Beifahrer bei einem Ausflug mit der Ente fast einen kleinen Heldentod gestorben war. (Ich habe meinen Vater noch nie so wortkarg erlebt.)
    Bevor Doro sich vor drei Jahren von ihrem Mann scheiden ließ, haben meine Familie, Doro und Hans, so hieß Doros Mann, jedes Silvester gemeinsam in Rethwisch verbracht. Hans war Mathematikprofessor und ist eines Tages mit einer Studentin durchgebrannt. Danach waren wir noch ein einziges Mal da,
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