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Zuflucht im Teehaus

Zuflucht im Teehaus

Titel: Zuflucht im Teehaus
Autoren: Sujata Massey
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wollte …«
    »Wie können Sie das nur sagen? Wir haben uns doch ganz gut verstanden«, sagte ich.
    »Ja, weil Sie dachten, daß man sich mit mir amüsieren kann. Toller Schlitten, tolle Klamotten. Tja, heute sieht’s nicht mehr so gut aus.«
    »Aber die Geschichte muß nicht so enden, Jun. Binden Sie mich los und bringen Sie mich den Hügel hinunter.«
    »Ich habe einen Menschen getötet. Wenn ich nicht tue, was Kazuhito sagt, informiert er die Polizei. Er ist Priester; man wird ihm glauben. Ich bin bloß der kleine Bruder.«
    Genau wie Angus, der ständig in Schwierigkeiten geriet, weil sein älterer Bruder so erfolgreich war. Wie dumm war ich doch gewesen, ihm böse zu sein. Ich hatte Angus aus einem ganz egoistischen Grund nicht leiden können: Weil ich es nicht ertrug, von ihm verdrängt zu werden. Und jetzt würde ich keinen der Glendinnings mehr sehen.
    »Sie sind kein Versager«, sagte ich zu Jun. »Sie könnten ein Held sein.«
    »Ist Ihnen eigentlich klar, daß Sie mir sagen sollen, wo die Schriftrolle ist? Mein Bruder wird die Informationsveranstaltung für die Touristen bald beendet haben, und dann wird er wiederkommen und eine Antwort hören wollen. Wenn Sie ihm keine geben, wird er mich zwingen, Sie vor seinen Augen zu foltern.«
    Da wurde mir etwas bewußt: Wajin hatte nicht Mr. Ishidas alten Transporter genommen, um damit zum Tempel zu fahren, weil der Motor, den ich gehört hatte, ganz anders geklungen hatte. Das bedeutete, daß Mr. Ishidas Wagen wahrscheinlich noch vor der Höhle stand.
    »Mr. Ishidas Leiche liegt vermutlich schon in dem Transporter«, sagte ich.
    »Wer?«
    »Ein alter Mann, mit dem ich befreundet war. Ihr Bruder hat uns beide hierhergebracht, und sobald ich in der Höhle war, hat er Mr. Ishida umgebracht.«
    Jun stieß ein verächtliches Geräusch aus. »Und wo soll die Leiche sein?«
    »Meine Augen waren verbunden, und ich war hier drin, als er ihn ermordet hat, aber ich weiß, daß er es draußen gemacht hat. Mir wäre es sehr wichtig zu erfahren, wie Mr. Ishida umgekommen ist. Ich habe ein furchtbar schlechtes Gewissen, weil ich ihn hierhergebracht habe.«
    »Dann fängt’s in dem Wagen sicher bald zu stinken an«, meinte Jun, wie immer pragmatisch. »Ich sehe lieber nach, ob ein Fenster offen ist. Rühren Sie sich nicht von der Stelle. Ich bin gleich wieder da.«
    Als ich hörte, daß sich Juns Schritte entfernten, versuchte ich, meine Fesseln zu lösen, aber das ging nicht. Sobald ich Juns Schritte wieder vernahm, gab ich meine sinnlosen Versuche auf.
    »In den Wagen hat er ihn nicht gelegt. Wo könnte der alte Mann sonst noch sein?«
    »Hmm«, sagte ich und gab mir größte Mühe, nachdenklich zu klingen. »Als Wajin zu mir zurückgekommen ist, habe ich ein merkwürdiges Geräusch gehört.«
    »Was für ein Geräusch?«
    »Ein Geräusch, als ziehe jemand etwas hinter sich her. Ja, Ihr Bruder muß Mr. Ishidas Leiche irgendwo in der Höhle versteckt haben.«
    »Vielleicht will er sie dort lassen«, sagte Jun.
    »Aber heute nachmittag kommt eine Touristengruppe hier rauf! Während des Festes sind die Höhlen zugänglich. Haben Sie denn das Schild nicht gesehen?«
    »Verdammt«, sagte Jun. »Wenn ich bloß wüßte, was ich tun soll. Wenn ich das hier verbocke …«
    »Ich würde Ihnen beim Suchen helfen, wenn Sie mir die Augenbinde abnehmen«, sagte ich.
    »Sie bleiben hier. Ich sehe selber nach.« Er verschwand, und ich war wieder allein. Ich begann an den Fesseln zu zerren. Meine linke Hand blutete inzwischen stark. Fast war ich dankbar dafür, daß das Blut den Strick ein wenig geschmeidiger machte, doch dann wurde mir klar, daß der Schnitt ziemlich tief war.
    Die Fesseln waren immer noch zu eng, als daß ich sie hätte abstreifen können. Ich rappelte mich hoch, obwohl meine Waden und Knie ganz taub waren. Als ich die gefesselten Hände nach hinten ausstreckte, berührte ich die Höhlenwand. Ich ließ die Finger darüber gleiten und fand schließlich einen kleinen, aber scharfen Vorsprung, über den ich den Strick legte und mit einem Ruck zog.
    Eigentlich hatte ich gehofft, die Fesseln zu lockern, doch statt dessen hatte ich sie fester gezogen. Ich hing gerade so an der Wand, als Juns Schritte in der Nachbarhöhle lauter zu werden schienen.
    Wie sehr ich mich jetzt nach Hughs Schweizer Messer oder auch nach Hugh selbst sehnte! Eine Träne lief mir über die Wange und unter der Maske hervor. So durfte ich nicht sterben. Wenn der Strick sich an der Wand verhakt hatte,
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