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Zuflucht im Teehaus

Zuflucht im Teehaus

Titel: Zuflucht im Teehaus
Autoren: Sujata Massey
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    Ich hatte von Anfang an den Verdacht, daß mich Nana Mihoris tansu- Kommodezu viel kosten würde.
    Der japanische Antiquitätenmarkt ist brutal. Es gibt kaum noch gute Sachen; selbst wenn man genug Geld hat, stehen die Chancen, ein tolles Stück zu finden, schlecht. Schon als ich den Auftrag annahm, hatte ich das Gefühl, daß es Ärger geben würde. Allerdings erwartete ich nicht, daß eine Kommode mich fast um alles bringen würde, was ich besaß.
    Das erste, was ich verlor, war ein Urlaub. Hugh Glendinning, der Mann, bei dem ich am Valentinstag eingezogen war, hatte aufgehört, auf mich einzureden und mit den Tickets vor meiner Nase herumzufuchteln, und war einfach allein nach Thailand geflogen. Mir war nichts anderes geblieben als die Arbeit: hauptsächlich die Jagd nach einer antiken Holzkommode, die, davon war ich allmählich überzeugt, offenbar nur in der Einbildung meiner Kundin existierte. In den vergangenen zwei Wochen war ich von Tokio aus in nördliche Richtung nach Nigata und dann westlich nach Kyoto gefahren. Unterwegs war ich in eine Überschwemmung und einen Moskitoschwarm geraten, der sich an mir gütlich getan hatte. Mittlerweile war die Regenzeit vorbei, und die Juli-Hitze hatte begonnen, ohne daß ich die tansu-Kommode gefunden hätte.
    Ich machte mir Gedanken über meine fehlgeschlagenen Versuche, während ich im dichten Stau auf dem Tomei Expressway stand. Es verstärkte meinen Ärger noch, daß die Leute in den Autos um mich herum alle auf dem Weg in die Ferien zu sein schienen. Die Väter saßen am Steuer, während die Mütter ihre mit aufgeblasenen Schwimmflügeln ausgestatteten Kinder mit irgend etwas fütterten. Ich spielte gerade mit dem Gedanken, mir ein Paar Schwimmflügel zu schnappen und mich nach Phuket treiben zu lassen, als mein Handy klingelte.
    »Rei Shimura Antiquitäten«, meldete ich mich und versuchte dabei, das Handy nicht fallen zu lassen. Erst kürzlich hatte ich irgendwo gelesen, daß die Verwendung von Mobiltelefonen im Auto genauso gefährlich war wie Trunkenheit am Steuer. Bei meinen Koordinationsschwierigkeiten konnte ich das gut nachvollziehen.
    »Rei-san, wo befinden Sie sich gerade?« hörte ich Nana Mihoris geduldige Stimme aus dem Apparat. In den vergangenen beiden Wochen hatten wir uns tagtäglich unterhalten, auch am Vortag. Da hatte ich sie aus der Gegend von Nana angerufen und ihr erklärt, ich werde wieder nach Hause fahren. Ich hatte eine ganze Menge Kommoden gesehen, die fast ihren Anforderungen entsprachen, aber sie wollte eine spezielle tansu ,die sie in einem Buch entdeckt hatte. Alle meine Kunden wollten etwas, das sie in einem Buch entdeckt hatten.
    »Soweit ich das beurteilen kann, befinde ich mich ganz in der Nähe der Izu-Halbinsel.« Ich versuchte zu entziffern, was auf einem Straßenschild weit, weit vor mir stand, und bedauerte es wieder einmal, daß ich noch längst nicht die etwa 1500 bis 2000 kanji oder piktographischen Zeichen lesen konnte, die man brauchte, um als des Lesens mächtiger Erwachsener zu gelten. Ich war als Kind einer amerikanischen Mutter und eines japanischen Vaters in San Francisco aufgewachsen. Das Sprechen fiel mir leicht, und mehr brauchte ich für meinen Job als selbständige Antiquitäteneinkäuferin normalerweise auch nicht.
    »Es trifft sich gut, daß Sie sich noch außerhalb von Tokio befinden. Ich habe gerade von einem sehr netten Geschäft in Hita erfahren, das mit hochwertigen Antiquitäten aus dem ganzen Land handelt. Meine Freundin Mrs. Kita hat dort erst letzte Woche eine hübsche Kleiderkommode gefunden.«
    »Ist Hita nicht in der Nähe von Hakone?« Die Gegend mit den heißen Quellen, von der sie sprach, lag weit abseits von meinem Weg.
    »Rei-san, Sie haben so hart für mich gearbeitet – da möchte ich wirklich gern, daß Sie Ihre Provision erhalten. Aber nach den ganzen Mühen und Fahrten ist es wahrscheinlich eine Zumutung, wenn ich Sie bitte, dort vorbeizuschauen …«
    »Aber nein. Wo ist der Laden?« Ich klemmte das Handy zwischen Kopf und Schulter und suchte nach einem Stift. Offen gestanden, brauchte ich das Geld unbedingt. Ich war erst vor fünf Monaten ins Geschäft eingestiegen, und die ausländischen Kunden, auf die ich gehofft hatte, hatten sich als ziemlich geizig erwiesen. Meine Tante Norie hatte mich erst vor kurzem Nana Mihori, der Frau des Leiters eines berühmten Zen-Tempels in Kamakura, einer pittoresken Stadt ungefähr eine Stunde südlich von Tokio, vorgestellt. Sie hatte Geld wie
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