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Zuflucht im Teehaus

Zuflucht im Teehaus

Titel: Zuflucht im Teehaus
Autoren: Sujata Massey
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konnte ich ihn auch wieder lösen. Ich bewegte mich ein wenig näher an die Wand heran, damit die Spannung, die auf den Fesseln lag, nachließ. Nachdem ich ein paar Minuten lang vorsichtig hin- und hergerutscht war, lockerte sich der Strick so weit, daß ich von der Wand loskam.
    Ich sank auf den Höhlenboden und legte meine wunden Hände darauf. Als ich dabei ein paar lose Hanffasern spürte, wurde mir klar, daß ich das Problem von der falschen Seite angepackt hatte. Statt aus den Fesseln schlüpfen zu wollen, mußte ich versuchen sie durchzuscheuern. Ich tastete mich an der Wand entlang; bis ich an eine kleine, hohle Stelle mit rauhen Kanten gelangte; wahrscheinlich stand ich vor einem Altar. Daran rieb ich nun die dünnste Stelle der Fesseln. Ich wußte, daß der Strick sich aufzulösen begann, als ich den Stein an meinem Handgelenk spürte.
    »Wo sind Sie?« rief Jun. War er wieder in meiner Höhle? Nein, das konnte nicht sein. Er hatte eine Taschenlampe, deren Licht ich selbst durch die Augenbinde und die Maske bemerkt hätte. Jun rief nach mir, weil er meine Stimme hören wollte. Er hatte sich verirrt. Akemi hatte mich seinerzeit gewarnt, daß es in den Höhlen verwirrende Tunnelsysteme gab. Deshalb hatte ich Jun gesagt, er solle nach Mr. Ishidas Leiche suchen.
    Also schwieg ich und rieb weiter meine Fesseln an der Wand. Schon kurze Zeit später bluteten meine Hände aus noch mehr Wunden. Doch ich riß mich zusammen. Als ich schließlich spürte, wie mir das Blut den Unterarm hinunterlief, riß der Strick. Ich bewegte meine Finger, damit das Blut wieder durchfließen konnte. Sie prickelten und pochten voller Leben, als ich die Maske und die schwarze Seide herunterriß.

26
    Als ich die Augenbinde abgenommen hatte, umfing mich noch immer Schwärze. Ich begann mich an der Wand entlangzutasten und die Schritte zu zählen, damit ich die Orientierung nicht verlor. Nach einer Weile spürte ich einen zweiten grob in den Felsen gehauenen Altar, in dem sich ein Kerzenstummel und ein Holzkästchen befanden. Ich öffnete das Kästchen und berührte fünf kleine Holzstäbchen. Streichhölzer.
    Ich versuchte ein Streichholz anzureißen, aber es entwickelte sich nur Rauch. Als ich es noch einmal versuchte, brach das Streichholz. Das wiederholte sich beim zweiten und dritten. Das vierte schließlich entzündete sich. Ich hielt es an den Kerzenstummel, und schon konnte ich etwas erkennen.
    Ich stand in einer etwa zwei Meter hohen Höhle. Auf der einen Seite befand sich eine ungefähr einen Meter breite Öffnung. Wahrscheinlich führte sie in den Tunnel, in dem Jun verschwunden war. Am anderen Ende der Höhle war ein bogenförmiger Ausgang von etwa eineinhalb Meter Höhe. Dort hatte Kazuhito mich vermutlich hereingebracht, denn ich hatte mich beim Eintreten ein wenig bücken müssen.
    »Rei! So antworten Sie mir doch!« rief Jun, ein wenig wütender als zuvor.
    Ich nahm die Kerze in die Hand und ging damit zu dem Bogen. Dahinter gabelte sich der Weg. Ich wußte nicht, auf welchem der beiden Wege ich hereingekommen war. Um etwas weiter zu sehen, hob ich den Kerzenstummel ein wenig und senkte ihn dann wieder. Auf dem weichen Höhlenboden entdeckte ich Spuren. In der Hoffnung, den richtigen Pfad zu wählen, trat ich in die Fußstapfen von Wajin.
    Es dauerte ungefähr eine Minute, bis ich das Tageslicht sah. Ich war ganz aus dem Häuschen vor Freude und rannte hinaus in die helle Mittagssonne. Die Hitze war noch nie so schön gewesen. Vor der Höhle waren Gras und grüne Blätter und die Kante eines steilen Abhangs. Von dort aus sah ich die Schindeldächer der Tempelgebäude, die unter mir lagen wie ein Dorf aus Bauklötzen. Dort hinunter zu gehen würde seine Zeit dauern. Als ich das Blut von meiner Armbanduhr wischte, sah ich, daß es fast zwei Uhr nachmittags war. Mittlerweile hatte Wajin sicher die Informationsveranstaltung für die Touristen beendet und war bereit, den nächsten Teil seines Plans auszuführen.
    Ich suchte in Mr. Ishidas Transporter nach Schlüsseln. Da ich keine fand, rannte ich den Hügel hinunter. Zwischen den Bäumen stolperte ich über einen Bambusgehstock mit Schnitzereien – Mr. Ishidas Wanderstab. Wajin hatte ihn wahrscheinlich nach dem Mord an Mr. Ishida verloren. Ich nahm den Stock als Andenken an meinen Freund mit. Vielleicht konnte er mir auch als Waffe im Kampf gegen Wajin dienen.
    Ich hatte das Tempelgelände fast erreicht, als ich das Geräusch von Schritten auf Blättern hörte. Weil die
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