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Zuflucht im Teehaus

Zuflucht im Teehaus

Titel: Zuflucht im Teehaus
Autoren: Sujata Massey
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dem sich kein gelber Aufkleber befand.
    »Heißt das, daß dieser Bus nicht ins Stadtzentrum von Kamakura fährt? Ach, jetzt sehe ich die andere Bushaltestelle. Entschuldigung.« Ich löste mich aus der Gruppe und versuchte, so auszusehen, als überquere ich die Straße ganz ruhig. Ich würde mit dem erstbesten Bus in die sichere Stadt fahren. Erst als ich meine blutige Hand in die Tasche meines Kleides steckte, merkte ich, daß ich kein Geld hatte. Das lag im Handschuhfach von Mr. Ishidas Wagen.
    Ich möchte , daß dieser Alptraum endlich aufhört ,dachte ich. In Kamakura gab es außer Yoko Maeda niemanden, der mir helfen würde – vorausgesetzt, der Laden war nicht geschlossen, weil sie ihre Enkelin von der Schule abholt.
    Maeda Antiques war nicht weit vom Bahnhof entfernt. Hinter mir begann ein Radfahrer wie wild zu klingeln.
    » Abunai !« rief er, was so viel wie »Aufpassen!« heißt.
    Ich sprang zur Seite und auf die Straße. Bremsen quietschten. Ich warf einen Blick über die Schulter und sah den schwarzen Mega Cruiser. Die Sonne war so grell, daß ich die Gesichter der beiden Leute in dem Auto nicht erkennen konnte.
    Ich sprang wieder auf den Gehsteig zurück und drängte mich durch eine Touristengruppe, die vor einem Getränkeautomaten stand. Daneben befand sich eine Telefonzelle, doch davor hatte einer der Bettelmönche von Horin-ji Stellung bezogen. Beobachtete er mich unter seiner breiten Hutkrempe hervor? Gehörte er zu Wajins Spionen?
    Ich rannte wieder auf die Straße. Der Wagen verfolgte mich immer noch, und der Fahrer hupte unaufhörlich.
    »Fußgänger müssen auf dem Gehsteig gehen. Abunai «,rief mir ein alter Mann zu.
    Ich rannte nur noch schneller. Plötzlich landete ich mit meinen nackten Füßen in etwas Feuchtem und Warmem. Schlamm, konnte ich nur hoffen. Als ich den Blick wieder hob, merkte ich zu spät, daß die Ampel auf Rot geschaltet hatte. Ich konnte nicht mehr anhalten und rannte direkt in einen Streifenwagen, der von rechts in die Kreuzung fuhr.
    Schmerz durchzuckte mein Knie, als ich schon durch die Luft flog und Mr. Ishidas Stimme hörte, die meinen Namen rief. Wenn ich nun zu ihm ins Jenseits segelte, würde ich sicher keinen Schmerz mehr spüren. Aber ich landete wieder auf der Erde, und zwar auf etwas Weichem: einem menschlichen Körper, der mich packte und mit mir über die Straße rollte.

27
    »Jetzt haben Sie wenigstens einen Grund, nicht mehr zu laufen«, sagte Akemi Mihori.
    Ich starrte den Ärmel ihres judo-gi an, weiße Baumwolle voller Schmutz und Blut. Mein Blut. Sie hatte mich gepackt und meinen Aufprall mit ihrem Körper gedämpft. Wir lagen beide mitten auf der Straße. Alle Autofahrer hatten den Motor ausgestellt; abgesehen von Akemis Stimme war nichts zu hören.
    »Sie ist doch nicht schwer verletzt, oder? Und Sie, Miss Mihori, sind Sie in Ordnung?« fragte Mr. Ishida besorgt.
    »Ja, alles in Ordnung«, keuchte Akemi. »Aber das Knie wird Rei in ihrem Lauftraining ganz schön zurückwerfen.«
    »Ishida-san, wieso sind Sie noch am Leben? Wajin hat behauptet, er habe Sie umgebracht«, sagte ich leise, als die Autos rund um uns herum wieder losfuhren.
    »Natürlich bin ich am Leben! Ich bin zwar nicht schnell, aber gelenkig. Ich habe den größten Teil meiner Fesseln schon im Wagen gelöst. Als Wajin Sie in die Höhle gebracht hat, konnte ich mir die Augenbinde abnehmen – das Tai Chi hat also doch seinen Sinn«, sagte er. »Ich habe ziemlich lange gebraucht, um den Hügel hinunterzulaufen, aber zum Glück bin ich Miss Mihori vor ihrer Judo-Halle begegnet. Ich habe ihr erzählt, was passiert ist.«
    Also hatte Wajin gelogen und Mr. Ishida nicht umgebracht. Er hatte gewußt, daß ich ihm glauben würde, und wahrscheinlich gehofft, daß ich ihm in meiner Angst erzählte, wo sich die Schriftrolle befand.
    »Wir sind vor einer halben Stunde mit der Polizei den Hügel raufgefahren, aber als wir Sie nirgends entdecken konnten, haben wir Angst bekommen«, sagte Akemi. »Ich hätte Kazuhito umgebracht, wenn wir Sie nicht gefunden hätten.«
    »Sie haben mir das Leben gerettet«, sagte ich. »Aber Jun Kuroi hat sich in der Höhle verlaufen, und Kazuhito ist in Ihrem Haus.«
    »Nicht mehr. Ein Beamter hat mir soeben über Funk mitgeteilt, daß er verhaftet ist«, sagte Lieutenant Hata.
    »Woher wußten Sie, daß ich in Kamakura bin?« Natürlich hätte ich mir gewünscht, daß er schon oben auf dem Hügel aufgetaucht wäre, aber ich war trotzdem dankbar über seine
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