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Zuflucht im Teehaus

Zuflucht im Teehaus

Titel: Zuflucht im Teehaus
Autoren: Sujata Massey
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unter meinem Auge war vermutlich schon verschwunden gewesen, als Wajin ihn berührt hatte, aber das hatte ich nicht gewußt, weil es in dem Teehaus keinen Spiegel gab.
    »Mein Bruder hat mir ein Dia von der Schriftrolle gezeigt und mir den Auftrag gegeben, danach zu suchen. Ich habe zu diesem Zeitpunkt schon Autos verkauft, deswegen war es leicht für mich, die Leute zu Hause zu besuchen. Als ich bei den Idetas eingeladen war, habe ich im Erdgeschoß die Schriftrolle an der Wand hängen sehen. Wahrscheinlich hatte Nana ihrer Schwester nicht gesagt, wie wertvoll sie war.«
    »Und Sie haben sie gestohlen?«
    »Natürlich nicht – schließlich hätten sie mich als ersten verdächtigt. Kazuhito war der Meinung, daß wir ein Jahr warten sollten, bevor ich die Schriftrolle holte, damit sich niemand mehr an den Besuch des Autohändlers erinnerte.«
    »Der ganze Aufwand nur, um die Schriftrolle wieder nach Horin-ji zurückzubringen? Diese Hingabe an den Tempel glaube ich ihm nicht.«
    »Von Hingabe kann keine Rede sein. Welcher Priester würde schon einen Mord anordnen?« Jun klang wütend. »Er wollte nur Akemi zuvorkommen und die Schriftrolle an einen Privatmann verkaufen. Und mit dem Geld hätte er den Tempel verlassen und ein neues Leben beginnen können.«
    Ich hörte ein Geräusch draußen vor der Höhle, einen knackenden Ast. Zuerst dachte ich daran, um Hilfe zu rufen, aber dann dachte ich, wenn ich mich täusche, und es ist niemand draußen, ist die schwache Verbindung, die ich gerade mit Jun aufgebaut habe, wieder kaputt. Also schwieg ich, und Jun erzählte weiter.
    »Dann gab’s ein Problem. Nomu Ideta, der alte Mann, den ich bereits erwähnt habe, ist zu einer Familienfeier nach unten gegangen und hat die Schriftrolle gesehen. Er hat Mitsuhiros Siegel erkannt und seine Schwester angebrüllt, daß sie so einen Schatz doch nicht der feuchten Luft aussetzen kann. Er hat die Schriftrolle abgehängt und in der tansu versteckt.« Jun seufzte. »Und zu dieser Zeit hat Haru begonnen, Teile der Antiquitätensammlung zu verkaufen, um die Familienfinanzen aufzubessern.«
    »Sie hatten also Angst, daß Sie die Schriftrolle verlieren würden«, sagte ich. »Deshalb haben Sie sich an Nao Sakai gewandt, der Haru fragen sollte, ob er die tansu in Kommission nehmen könne.«
    »Genau«, sagte Jun überrascht.
    »Sie mußten also nur noch warten, bis ich die Kommode gekauft hatte. Nach der Lieferung wollten Sie dann die Schriftrolle aus dem doppelten Boden herausholen. Aber das hat nicht funktioniert.«
    »Stimmt. Die Spedition, die Sakai auf unsere Empfehlung hin beauftragt hat, hat sich ziemlich dumm angestellt. Statt die tansu nach Kamakura zu bringen, wo wir sie uns hätten ansehen können, haben die Leute sie an die Adresse auf dem Lieferschein, nämlich in Ihre Wohnung, geliefert. Sie haben meinen Bruder angerufen, der ihnen gesagt hat, sie sollen sie durchsuchen, so gut es geht, und dann verschwinden. Sie haben den doppelten Boden nicht gefunden, die Metallbeschläge verbogen und mußten sogar einen Nagel ersetzen.«
    »An dem Nagel habe ich mir eine Schramme geholt!« Also hatte ich mir die Kommode doch genau genug angesehen. Jemand hatte sich an der tansu zu schaffen gemacht, nachdem ich sie gekauft hatte.
    »Kazuhito wußte, daß viele tansus doppelte Böden haben, deshalb war er davon überzeugt, daß er die Schriftrolle finden würde, wenn er vor Nana Mihori an die Kommode käme. Aber Sie haben sich quergestellt und die tansu nicht herausgerückt. Außerdem wollten Sie unbedingt wissen, woher sie stammte.«
    »Als ich Nomu Ideta aufgespürt hatte, hat Ihr Bruder solche Angst bekommen, daß er ihn umgebracht hat.«
    »Wir sind Partner«, sagte Jun nüchtern. »Jeder von uns hat einen Menschen getötet.«
    »Aber er hat die Sache eingefädelt«, sagte ich. »Es wird Zeit, daß Sie aufhören, Ihrem Bruder zu gehorchen, und zur Polizei gehen. Ich helfe Ihnen dabei.«
    Jun erhob sich, und ich spürte, daß die Verbindung, die ich durch unser Gespräch zu ihm aufgebaut hatte, zerbrach. »Sie versuchen immer, sich um alles zu drücken. Sie sind einfach nicht mehr ans Telefon gegangen, nicht in den Ueno Park gekommen und sogar meinen Pfeilen und meiner Schlange entkommen. Aber jetzt habe ich Sie. Und wenn Sie mir nicht sagen, wo die Schriftrolle ist, kann ich leider keine Rücksicht mehr auf Sie nehmen. Kazuhito hat ein Disziplinierungspaddel hiergelassen, und ich habe Streichhölzer. Ich könnte Sie anzünden, wenn ich
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