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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht
Autoren: Stephan Ludwig
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sich um, würde es hier jetzt genauso aussehen. Schröders Begonien, die Kaffeemaschine, dieser hässliche Aktenschrank, all dieser Kram würde unverändert hier rumstehen, während ich selbst säuberlich verpackt in der Rechtsmedizin läge. Wahrscheinlich, überlegte er weiter und rümpfte die Nase, würde ich jetzt langsam anfangen zu stinken.
    Er rieb den schmerzenden Nacken, sein linker Arm war völlig verspannt. Um sein Handgelenk wand sich ein dunkler, blutunterlaufener Striemen, Zorn zog den Ärmel seines Hemds nach unten und versuchte, an etwas anderes zu denken.
    Um sich abzulenken, schaltete er die Kaffeemaschine ein. Während das Wasser durch den Filter brodelte, ertappte er sich erneut beim Gedanken an den eigenen Tod, an die Sinnlosigkeit seines Daseins und die Spuren, die er nach seinem Ableben auf dieser Welt hinterlassen würde.
    Gab es überhaupt welche?
    Nein, da war nichts. Außer seiner Plattensammlung, einer unaufgeräumten Zweiraumwohnung und einem halben Dutzend dreckiger Schlüpfer.
    Ich habe nichts in meinem Leben zustande gebracht, dachte Zorn und wurde ein wenig wehmütig. Kein Wunder, die meiste Zeit habe ich rumgesessen, geraucht und eine Wand angestarrt. Na ja, tröstete er sich dann, wenigstens hab ich keinen großen Schaden angerichtet. Ich habe niemanden ermordet, keinen Krieg angezettelt und kleine Kinder verprügelt hab ich auch nicht.
    Trotzdem. Niemand würde mich vermissen.
    Außer Malina vielleicht.
    Wieder rieb er den Nacken, zuckte zusammen, als seine Finger die Beule am Hinterkopf berührten. Er nahm sein Handy, und als er ihre Nummer wählte, fiel ihm noch etwas ein.
    Wo blieb eigentlich Schröder?
    *
    Auf den ersten Blick sah das Krankenzimmer aus wie jedes andere auch. Das große Bett, die in die Wand eingelassenen weißen Schränke, das Metallgestell mit den Monitoren, das leise Piepsen, die flimmernden Lichtpunkte auf den Bildschirmen. Nur der uniformierte Beamte draußen vor der Tür war ungewöhnlich.
    Jan Czernyk wirkte verloren zwischen den Kissen. Sein Hals wurde von einer grauen Manschette stabilisiert, das Gesicht war geschwollen, die Augen rot und blutunterlaufen, mit geplatzten Äderchen übersät.
    Sie hatten ihm ein starkes Schlafmittel gegeben. Noch war er wach, doch langsam driftete er weg. Er roch das Desinfektionsmittel, darüber hing ein kaum wahrnehmbarer Duft nach frischen Veilchen und Zimt, er stammte von Frieda Borck, sie hatte das Zimmer vor wenigen Augenblicken verlassen.
    Alles wird gut, hatte sie gesagt.
    Er hatte versucht zu lächeln, mehr als eine verzerrte Grimasse war nicht zustande gekommen. Dann hatte er genickt. Nicht, weil er daran glaubte, sondern, weil sie es von ihm erwartet hatte.
    Nichts war gut.
    Er müsse Geduld haben, hatte Frieda gesagt. Das, was jetzt komme, würde schwer werden. Er, Czernyk, würde verurteilt werden, keine Frage, aber irgendwann würde er entlassen werden. Dann hatte sie ihn geküsst, noch immer spürte er ihre Lippen auf seiner Wange.
    Er sah zur Decke, das Neonlicht flackerte. Noch konnte er alles deutlich erkennen, in der Mitte jedenfalls. Der schmutzige Schleier an den Rändern seines Blickfelds schien unverändert, doch es würde nicht so bleiben.
    Sie würde auf ihn warten, hatte Frieda gesagt.
    Auf ihn? Einen vorbestraften, blinden Expolizisten?
    Er hatte das Recht durchsetzen wollen, dabei hatte er gegen die Gesetze verstoßen, jetzt würde er nach eben diesen Gesetzen verurteilt werden. Das hatte er vorher gewusst, er würde ins Gefängnis gehen, es war okay. Aber wofür das alles?
    De Koop. Er würde davonkommen.
    Czernyks Hände verkrampften sich in den Laken.
    In genau einem Monat würde er noch einmal an den Augen operiert werden, danach sollte es ein wenig besser werden. Das konnte er in diesem Moment noch nicht wissen, und das war gut so, denn wenige Wochen danach würde er sein Augenlicht endgültig verlieren.
    Jan Czernyk schlief ein.
    Ihm blieben noch genau dreiundsiebzig Tage, dann würde er allein sein mit all den grausamen Bildern, die er in seinem Leben gesehen hatte. Sie sollten ihn für den Rest seines Lebens begleiten.
    Und die Dunkelheit.
    Kein Licht mehr.
    *
    Sie meldete sich nach dem zweiten Klingeln.
    »Claudius?«
    »Ja. Siehst du meine Nummer?«
    »Nein, ich wusste, dass du anrufst.«
    »Wo bist du?«
    »Im Hotel. Ich bin vor drei Stunden gelandet.«
    »Wann bist du zurück?«
    »Übermorgen. Rufst du deswegen an? Um zu wissen, wann ich wiederkomme?«
    »Ich rufe an, weil ich dir
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