Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht
Autoren: Stephan Ludwig
Vom Netzwerk:
etwas sagen will, Malina. Aber ich finde die Worte nicht.«
    »Wir waren beide bescheuert, Claudius.«
    »Ja, das waren wir.«
    »Komm einfach her, hier scheint die Sonne.«
    »Und dann? Soll ich dir meine Entschuldigung vortanzen?«
    »Du bist ein mieser Tänzer.«
    Sie lachte leise.
    Er nahm den Hörer in die andere Hand.
    »Du fehlst mir, Malina. Ich vermisse dich, wie ich noch nie einen Menschen vermisst habe.«
    »Das weiß ich. Aber du musst es mir ab und zu sagen.«
    »Ich kann sowas nicht besonders gut.«
    »Dann lerne es.«
    »Ich werde es dir jeden Abend ins Ohr flüstern, für den Rest unseres gemeinsamen Lebens. Das schwöre ich hiermit, aus der tiefsten Tiefe meines Herzens.«
    »Schleimer.«
    »Ich liebe dich auch, Malina.«
    Zorn redete, ohne nachzudenken. Verwundert lauschte er seinen eigenen Worten, als würde sie jemand anders aussprechen. Wie konnte ich nur so dumm sein?, dachte er. Es ist so einfach. Man muss nur ab und zu den Mund aufmachen, mehr nicht.
    »Ich muss mich bei Hermann entschuldigen«, sagte er.
    »Das solltest du, Claudius. Du wirst ihn suchen müssen, ich habe ihn seit gestern nicht gesehen. Er wollte mich zum Flughafen bringen, aber er ist verschwunden.«
    »Komisch«, murmelte Zorn. Etwas machte ihn stutzig, er konnte nicht sagen, was es war. »Na ja«, sagte er dann, »er wird schon wieder auftauchen.«
    Das würde Hermann.
    Im wahrsten Sinne des Wortes.
    *
    Der Raum war nicht groß, er bot gerade einmal Platz für die Pritsche, die Toilette und einen winzigen, auf den Boden geschraubten Tisch. Der Lampenmann hockte auf dem Rand des schmalen Betts, er hatte die Ellbogen auf die Knie gestützt und starrte zu Boden. Das lange Haar hing ihm in fettigen Strähnen über die Augen, leise murmelte er vor sich hin, unzusammenhängende, scheinbar sinnlose Worte.
    Er war traurig.
    Sie hatten ihm alles weggenommen, seine Puppen, den Gürtel, den Rucksack, auch die Kopflampe. Er hatte sich gewehrt, einem von ihnen hatte er sogar die Uniformmütze heruntergerissen, aber sie waren zu dritt gewesen, irgendwann hatten sie ihn überwältigt. Dann hatten sie Fragen gestellt, viele Fragen. Er hatte versucht, es ihnen zu erklären, es war einfach, er hatte nur getan, was Gott ihm auftrug, aber sie hatten ihm nicht zugehört, weitere Fragen gestellt, keine davon hatte er verstanden.
    Dann war noch ein Mann gekommen, ein Doktor. Er war viel netter gewesen, und er hatte auch verstanden, was ihm der Lampenmann erzählte. Zum Schluss hatte er ihm ein paar rote Pillen gegeben, sie hatten nicht so gut geschmeckt wie Lakritze, aber der Doktor hatte gesagt, dass sie sich jetzt öfter sehen würden und versprochen, dass er etwas Süßes mitbringen würde.
    Dann waren die anderen wiedergekommen. Sie hatten ihn in diese Zelle gebracht.
    Nein, er war nicht gern hier. Es war dunkel und eng, die Luft roch schlecht.
    »Er kommt nicht«, murmelte der Lampenmann und schüttelte den Kopf. Das Haar schwang vor seinem Gesicht wie eine schwarze Gardine. Jetzt wartete er schon so lange, er war sicher gewesen, dass Gott ihn bald abholen würde.
    »Er hat mich vergessen.«
    Das machte ihn noch trauriger.
    Er schniefte, wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und sah zur Tür. Sie war verschlossen, er hatte schon ein paarmal versucht, sie zu öffnen, es gab nicht einmal eine Klinke.
    »Ich will hier nicht sein.«
    Diese Männer hatten ihn hier eingesperrt, sie waren böse. Sie hatten gesagt, dass sie Polizisten seien, er hatte nicht recht verstanden, was das bedeutete.
    Poh-lie-zist.
    Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf.
    Sein Freund. Er war auch Polizist.
    Ja, dachte der Lampenmann und sprang auf. Er wird mich holen, es dauert bestimmt nicht mehr lange! Er war ja festgebunden, aber er ist klug, er muss sich erst losmachen, dann kommt er und hilft mir!
    Jetzt wurde der Lampenmann ein wenig wütend, er schlug sich mit der flachen Hand ins Gesicht. Wie hatte er das nur vergessen können?
    Er setzte sich wieder auf die Pritsche. Seine Wangen brannten, er sah auf seine Hände. Die Fingernägel waren schmutzig, er hätte sie jetzt gern saubergemacht, aber die bösen Männer hatten sein Messer.
    Egal. Bald würde sein Freund kommen. Er würde ihm das Messer wiedergeben.
    Der Lampenmann lächelte glücklich.
    »Er wird kommen.«
    Das musste er, schließlich war er sein Freund. Er würde ihm helfen, schließlich hatte er, der Lampenmann, seinem Freund auch einen Gefallen getan.
    Das war gestern gewesen, unendlich lange
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher