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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht
Autoren: Stephan Ludwig
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Aufmerksamkeit galt dem, was sie im Wasser gefunden hatten. Fast ein Dutzend Polizisten drängten sich auf dem engen Plateau, einige in Zivil, ein paar trugen Uniform.
    Die Leiche des alten Mannes hatte sich in den Ästen einer Eberesche verfangen. Sie schwamm auf dem Bauch, Arme und Beine weit ausgestreckt, wie ein Taucher, der entspannt auf der Oberfläche treibt und die Fische beobachtet. Das graue Haar umwehte den Kopf wie eine exotische Wasserpflanze.
    Zwei Männer in den weißen Schutzanzügen der Spurensicherung beugten sich über das rostige Geländer und betrachteten die Leiche, die sich sacht unter ihnen in der Strömung bewegte.
    »Wenn ich das richtig sehe«, sagte der eine, »haben wir da unten einen toten Mann in einem gestreiften Pyjama. Ich frage mich, wie er da hingekommen ist.«
    »Eins ist sicher.« Der andere unterdrückte ein Gähnen, dabei wanderte sein Blick nachdenklich über die Villen am gegenüberliegenden Flussufer. »Aus dem Bett gefallen ist er jedenfalls nicht.«
    Oben auf der Treppe erschien eine kleine, gedrungene Gestalt in einem weiten Regenmantel. Mit schnellen Schritten kam der Mann näher. Ein paar Stufen oberhalb des Plateaus blieb er stehen und vergrub die Hände in den Taschen seiner Cordhose, deren Farbe irgendwo zwischen einem schmutzigen Braun und einem giftigen Grün angesiedelt war.
    Ein Mann in Lederjacke und Jeans ging ihm entgegen, begrüßte ihn und sprach leise auf ihn ein. Der Kleine hörte schweigend zu, dann nickte er, blinzelte in die aufgehende Sonne und kramte sein Handy hervor.
    »Wir haben einen Fall, Chef«, sagte er nach einer Weile.
    »Das kommt mir bekannt vor«, erwiderte die Stimme am anderen Ende gereizt. »Langsam könntest du dir einen neuen Spruch einfallen lassen, Schröder.«

Zwei
    Zorn brummte eine Verwünschung und legte das Handy zurück auf den Nachttisch. Dann richtete er sich vorsichtig auf und lauschte. Malina lag auf der Seite, sie hatte die Decke zwischen die Beine geklemmt und schien fest zu schlafen.
    Scheiße, dachte Zorn und gab ihr einen Kuss auf die Wange, ich würde wirklich lieber hierbleiben, aber es lässt sich nicht ändern.
    Sie lächelte, ohne die Augen zu öffnen.
    »Wie spät ist es?«
    »Zu früh.«
    Sie lebten jetzt seit ein paar Monaten zusammen, doch noch immer hatte er das Gefühl, sie kaum zu kennen. Nun, eines hatte er mittlerweile mitbekommen: dass sie einen leichten Schlaf hatte. Schon das kleinste Geräusch konnte sie wecken, egal, zu welcher Uhrzeit, innerhalb von Sekunden war sie wach, als ob ein Schalter umgelegt würde.
    Ansonsten wusste er noch immer nicht viel über die Frau, die er liebte.
    Abgesehen davon, dass sie Rotwein mochte, John Irving vergötterte und absolut unausstehlich wurde, wenn sie Hunger hatte und nichts zu essen in der Nähe war.
    Das war nicht viel, aber besser als nichts.
    Seine Sachen lagen verstreut neben dem Bett. Mit dem Fuß angelte er nach einer Socke und zog sie an.
    »Was ist passiert?«
    Sie hatte den Kopf auf den Ellbogen gestützt und sah ihn an. Ihr Haar hatte sie wachsen lassen, es hing ihr wie ein schwarzer Vorhang bis über die Nase. Sie pustete es aus der Stirn. Noch etwas, das er an ihr liebte.
    »Ein Toter im Fluss«, erklärte er und streifte sein T-Shirt über.
    »Das klingt nicht gut.«
    Er nickte und ließ sich zurück aufs Bett sinken. Malina legte den Kopf auf seine Brust, er atmete den Duft ihres warmen, vom Schlaf trägen Körpers. Während er ihr sacht mit den Fingern durchs Haar fuhr, fragte er sich, woher dieser Geruch kam. Soweit er es beurteilen konnte, benutzte sie weder Parfum noch irgendein Deo, und doch roch sie frisch, als habe sie die Nacht nicht in einem verschwitzten Bett, sondern auf einer frisch gemähten Wiese verbracht.
    »Wenn Schröder sich um diese Zeit meldet, hat er selten gute Nachrichten.« Vorsichtig schob er ihren Kopf zurück auf das Kissen. »Diese Anrufe gehören zu meinem Job.«
    »Dann ist es kein guter Job, Claudius.«
    »Ich habe nie das Gegenteil behauptet.«
    »Vergiss deine Brille nicht. Auf der Waschmaschine.«
    Sie war mit ihm beim Optiker gewesen, und obwohl er sich anfangs mit Händen und Füßen sträubte, hatte er den Laden zwei Stunden später mit einer nagelneuen Brille auf der Nase wieder verlassen. Sie fand ihn süß, hatte sie behauptet, das schmale, dunkle Gestell passe wunderbar zu seinen langen Wimpern und dem schwarzen Wuschelkopf. Das hatte Claudius Zorn wiederum gefallen. Sehr sogar.
    Er stand auf.
    »Ich
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