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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht
Autoren: Stephan Ludwig
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Herz, das wieder zu schlagen beginnt, etwas kitzelt in seiner Nase, lass mich, denkt er, doch wieder wird er gerufen …
    *
    »Jan!«, schreit sie. »Wach auf, verdammt!«
    Er hört ein hohes, dissonantes Geräusch, es klingt, als würde ein defekter Dudelsack von einer Straßenbahn überfahren. Es ist seine Lunge, sie füllt sich wieder mit Luft. Ein Band aus brennendem Stahl liegt um seine Kehle, mehr noch, sein ganzer Körper steht in Flammen.
    Nein, denkt Jan Czernyk, es reicht. Ich will nicht hier sein.
    »Jan!«
    Wieder dieses Kitzeln. Sie kniet neben ihm, ihr Haar fällt auf sein Gesicht.
    »Atme!«
    Sie weint, aber sie lässt nicht locker. Schlägt ihm mit der Faust auf die Brust, er bäumt sich auf. Widerwillig öffnet er die Augen, dann ist er wieder da.
    Frieda Borck ist eine sturköpfige Frau.

Neununddreißig
    »Du hast mir den Arsch gerettet, Schröder.«
    »Bedank dich bei Frieda Borck.«
    Zorn hatte eine Decke um die Schultern geschlungen, in der Hand hielt er einen Pappbecher mit Kaffee. Der Kaffee war gut, die Decke fand er albern, doch der Arzt hatte darauf bestanden. Er hatte Zorn ein Beruhigungsmittel gegeben, jetzt fühlte er sich besser. Nur sein Hintern wurde langsam kalt, er saß jetzt seit einer ganzen Weile auf der niedrigen Mauer.
    »Ich fass es nicht.« Zorn schüttelte den Kopf. »Ein paar Sekunden später, und dieser Arsch hätte mir das Hirn aus der Rübe geblasen.«
    Schröder nickte zerstreut und sah auf seine Uhr.
    »Ich muss jetzt los.«
    »Wieso?« Zorn klang gekränkt. »Ich wäre eben fast draufgegangen! Du könntest ruhig noch ein bisschen hierbleiben.« Er blies in seinen Kaffee. Seine Finger zitterten ein wenig. »Ich bin bestimmt traumatisiert«, fügte er etwas weinerlich hinzu.
    Das Eingangsportal wurde aufgestoßen, sechs Männer in schwarzen Schutzanzügen strömten heraus. Eine Nebelwolke umhüllte sie, Zorn fühlte sich an eine Raumpatrouille bei einer Mondlandung erinnert. Einer von ihnen, offensichtlich der Vorgesetzte, klappte das Visier seines Helms hoch und kam näher.
    »Wir sind dann weg«, sagte er zu Schröder.
    »Gut.«
    »Haben Sie eine Zigarette?«, fragte Zorn.
    Der Mann klopfte sich mit den Handschuhen gegen die dick gepolsterte Brust.
    »Sehe ich so aus, als ob ich rauchen würde?«
    »Keine Ahnung.« Zorn zuckte die Achseln. »Sehe ich so aus, als ob ich das wüsste?«
    Wortlos stapfte der vermummte Beamte davon.
    »Du könntest dich ruhig bei ihm bedanken«, sagte Schröder.
    »Dafür, dass er keine Zigaretten hat?«
    »Dafür, dass er dir das Leben gerettet hat.«
    Zorn überlegte, dann nickte er.
    »Danke!«, rief er dem Vermummten nach.
    »Bedanken Sie sich beim Kollegen Schröder«, erwiderte der Mann, im Laufen nahm er den Helm ab. »Er hat den Einsatz geleitet.«
    »Bei wem soll ich mich denn noch bedanken?«, fragte Zorn trotzig.
    Zwischen den Bäumen flackerte Blaulicht auf, Sirenen jaulten. Motoren heulten, zwei Krankenwagen rasten in vollem Tempo davon, ein dritter folgte in kurzem Abstand.
    »Es scheint«, sagte Schröder, »dass alle durchkommen werden. Der Richter hat eine Menge Blut verloren, Jan Czernyk wäre fast erstickt. Aber sie werden es schaffen.«
    »Was ist mit den anderen beiden?«
    Zorn wollte die Namen nicht aussprechen.
    »Es ging schnell. Bevor sie merkten, was los ist, waren sie schon überwältigt.«
    Sie schwiegen ein paar Sekunden. Zorn wärmte die Finger an seinem Kaffeebecher.
    »Ich würde dieses Schwein gern für den Rest seines Lebens festnageln«, sagte er dann. Wieder vermied er den Namen, doch sie wussten beide, vom wem die Rede war. »Aber dazu brauchen wir dieses Video.«
    »Vielleicht geht es auch anders.« Wieder sah Schröder auf die Uhr. »Ich muss jetzt wirklich los.«
    »Wohin?«
    »Nach Hause.«
    Zorn schlang die Decke enger um die Schultern und sah zu, wie Schröder in seinem typischen, ein wenig schaukelnden Gang davontippelte.
    »Schröder?«, rief er ihm hinterher.
    »Ja?«
    »Danke.«

Vierzig
    Am nächsten Morgen saß Claudius Zorn in seinem Büro. Er hatte die Beine auf den Tisch gelegt, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und wartete auf Schröder. Alles hier sah aus wie immer. Nur die kleine Darth-Vader-Figur zwischen den Blumentöpfen war neu. Zorn war am Abend noch einmal in das Badehaus gegangen, das Spielzeug hatte im Schutt neben der Zellentür gelegen. Warum er es mitgenommen hatte, wusste er nicht. Als Glücksbringer? Vielleicht.
    Wenn ich gestern gestorben wäre, dachte er und sah
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