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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht
Autoren: Stephan Ludwig
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wusste, dass man meinen Vater nicht allein lassen darf. Als ich nach Hause kam, hatte er das Gas aufgedreht, er war kurz davor, zu ersticken. Ein paar Minuten später wäre das Haus in die Luft geflogen, dann wäre jetzt auch meine Mutter tot.« Schröder deutete auf seinen penibel aufgeräumten Schreibtisch. »Ich liebe meine Arbeit, das weißt du. Bisher war das mein Leben, aber meine Familie ist wichtiger. Ich werde meinen Vater nicht ins Heim geben. Und weil ich das nicht tun werde, kann ich diesen Job nicht mehr machen. Ich würde es nur mit halber Kraft tun, aber für so etwas bin ich nicht geschaffen. Das weißt du. Entweder mache ich etwas richtig oder gar nicht.«
    Zorn lehnte am Fensterbrett, die Sonne schien schräg ins Zimmer. Er spürte die Wärme im Rücken, sah seinen eigenen, seltsam verzerrten Schatten auf dem Boden.
    »Es gibt nichts, das dich umstimmen würde, oder?«
    Schröder lächelte.
    » Nothing, Chef.«
    »Kommst du irgendwann wieder?«
    »Vielleicht.«
    Zorn räusperte sich.
    »Ich bin froh, dass ich dich kenne.«
    »Bitte, Chef«, erklärte Schröder sanft. »Kein melodramatischer Scheiß zum Abschied.«
    Melodramatischer Scheiß, das waren Zorns eigene Worte. Es war seltsam, sie aus Schröders Mund zu hören.
    »Ich krieg das allein nicht hin, Schröder.«
    »Das wirst du. Man wächst mit seinen Aufgaben.«
    »Blödmann.«
    Schröder knöpfte seinen Mantel zu.
    »Vergiss nicht, die Blumen zu gießen.«
    Dann war er weg.
    *
    Eine halbe Stunde später saß Claudius Zorn noch immer da und starrte auf die Tür. Leise klapperte sie gegen den Rahmen, Schröder hatte die Klinke nicht richtig zugedrückt. Ein unangenehmes Geräusch, doch Zorn hatte einfach keine Kraft, aufzustehen und die Tür zu schließen.
    Er dachte an das, was jetzt kommen würde. Da war zunächst einmal Arbeit, er würde jetzt alles allein erledigen müssen. Berichte schreiben, Akten sortieren, den Überlick behalten. Ja, er verabscheute diesen bürokratischen Kleinkram, doch das, stellte Zorn ein wenig verblüfft fest, war im Moment gar nicht so wichtig.
    Er vermisste Schröder.
    Dieser kleine, kluge Kerl mit dem schrägen Geschmack, dieser Mensch fehlte ihm. Jetzt schon, obwohl es gerade einmal ein paar Minuten her war, dass er gegangen war. Für immer.
    Die Sonne stand tief, nur wenige Zentimeter über dem Fensterbrett. Zorn dachte an Malina, in Zagreb war es warm, hatte sie gesagt, er musste nur in den Flieger steigen, in ein paar Stunden würde er bei ihr sein.
    Ein verlockender Gedanke, sicherlich. Aber er konnte hier nicht weg, er, Hauptkommissar Claudius Zorn, leitete die Ermittlungen. Er musste diesen Fall zu Ende bringen, jetzt, wo Schröder nicht mehr da war. Übermorgen würde sie ja zurück sein.
    Zorn seufzte leise.
    Ist das der Preis? Ich bekomme Malina wieder, dafür verlässt mich Schröder? Was für ein blöder Tausch! Und überhaupt, wer passt jetzt auf mich auf? Wer nimmt mich in Schutz, wenn ich Mist baue, wäscht mir den Kopf, wenn ich mal wieder meine vorlaute Klappe nicht halten kann?
    Das Sonnenlicht spiegelte sich auf der Tischplatte. Zorn kniff die Augen zusammen und sah zum Fenster. Darth Vader stand neben der Kaffeemaschine, das Schwert in die Luft gereckt, ein winziger, stummer Wachposten.
    Tja, murmelte Zorn, dann bist du jetzt wohl mein neuer Partner. Willkommen im Team, Kollege Vader. Fang schon mal an, die Berichte zu schreiben.
    Die Tür klapperte. Lauter jetzt.
    Zorn erhob sich halb aus dem Sessel, sank resigniert wieder zurück.
    Ach, er hatte einfach keine Lust.
    Morgen, dachte er, morgen fange ich an. Ich werde früh auf Arbeit kommen und mich um alles kümmern, ich werde Überstunden machen, ein pflichtbewusster Beamter sein und Formulare ausfüllen, bis mir die Finger bluten.
    Zorn nickte zufrieden, genauso würde er es machen.
    Das waren gute Vorsätze, und er würde sie sogar in die Tat umsetzen. Teilweise jedenfalls, denn blutig würde er sich die Finger am nächsten Tag nicht schreiben, nein, er sollte gerade mal eine Stunde im Büro verbringen. Das konnte Zorn im Moment noch nicht wissen, denn die Leiche des erdrosselten jungen Mannes mit der gebrochenen Nase würde erst in ein paar Stunden entdeckt werden, kurioserweise genau an der Stelle im Fluss, an der man vor knapp zwei Wochen einen toten Bankangestellten namens Meinolf Grünbein gefunden hatte.
    Ja, eine Menge Arbeit wartete auf Claudius Zorn. Hätte er das geahnt, wäre er wahrscheinlich umgehend in das nächste Flugzeug
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